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Festival-Bericht

Rockavaria

mit Iron Maiden, Sabaton, Slayer, Nightwish, Anthrax, In Extremo, Sodom, Apocalyptica, Gotthard & Powerwolf

Olympiastadion, München 27.-29.05.2016

Rockavaria-Samstag: Grazien, Tigerhemdchen, Thrash-Veteranen und Seebühnenpunk

Wie keifte schon Alexi Laiho: Wake up, rise and shine! Nach einer (etwas kurzen) Nacht mit spontanem Whisky-Tasting und anderen Eskapaden schaffen wir es entgegen unserer eigenen Erwartung, pünktlich um 14 Uhr zum Interview mit J.B.O. zu erscheinen und dort ein witziges Gespräch unter Franken zu führen. Danach geht es allerdings gleich wieder in die Arena, wo die deutschen Senkrechtstarter von Beyond The Black den Reigen eröffnen. Auf Konserve klingt die Chose schon sehr deutlich nach Within Temptation, live können die Söhne Mannheims (also, der musste jetzt sein) um Frontelfe Jennifer Haben durchaus überzeugen. Mit "In The Shadows" steigen sie gleich mit der aus Funk und Fernsehen bekannten Single ein - die Stimmung ist für die frühe Stunde gut, die Herren sehen zwar eher aus, als ob sie bei einer Thrash-Band anheuern wollten, aber der orchestral-symphonische Sound läuft bei "When Angels Fall" und "Beyond The Mirror" gut rein, wobei sich Gitarrero Chris Hummels bisweilen als kompetenter Frontgrunzer verdingt. Nicht fehlen darf natürlich die Titeltracks des Debüts "Songs Of Love And Death" und der aktuellen Scheibe "Lost In Forever" - stilistisch wird hier das Rad nicht neu erfunden, aber wie schon im letzten Jahr bieten die Kollegen eine achtbare Show, die durchaus goutiert wird. Fein!

Das Rockavaria zeichnete sich schon 2015 durch eine etwas eigenwillige Mischung aus Metal und eher kommerziellem Rock aus, und mit Prime Circle stehen nun die ersten Vertreter der zweiteren Gangart ins Haus. Die Jungs aus Südafrika um Fronter Ross Learmonth fahren eine höchst eingängige Mischung aus Creed und REM auf - typischer Mainstream-Festival-Sound, der niemand schmerzt, aber auch nicht wirklich begeistert. Titel wie "Blast Off" sind sicherlich gut gemachter Radio-Poprock, aber für die hier in der Mehrzahl befindlichen Metaller ist das nicht wirklich ein gefundenes Fressen.

Das ändert sich allerdings schlagartig beim nächsten Act: die erst in letzter Sekunde engagierten Ruhrpott-Thrasher von Sodom (böse Zungen behaupten, die im Billing an deren Stelle noch genannten T.B.A. hätten abgesagt, und die auch gerne gebuchten special guest hatten keine Zeit) lassen die Axt massiv kreisen. Sie erwischen mit "In War And Pieces" allerdings einen unglücklichen Start, mit matschigem Sound und einem Song, der sich als Opener nicht gerade anbietet. Aber mit der launigen Begrüßung "Hallo, deutscher Meister!" zieht Onkel Tom - heute ohne den obligatorischen Patronengürtel, ein wahrlich ungewohntes Bild - die beachtliche Menge auf seine Seite, und spätestens nach "M 16" wird mit dem Knaller "The Saw Is The Law" der Moshpit offiziell eröffnet. "Wir sind Sodom aus dem Ruhrpott!", informiert uns Herr Angelripper nun gut gelaunt, man sei ja ganz kurzfristig aufs Billing gekommen und man habe schon etwas Sorge gehabt, ob man da so richtig hineinpasse, als doch etwas heftigere Kombo. Aber die zunehmende Menge feiert die Urgesteine so richtig ab, und Onkel Tom nebst Zottel Bernemann hat sichtlich Spaß, so dass auch "Sacred Warpath" formidabel knallt. Natürlich ist auch der alte Reißer "Agent Orange" am Start, der der wilden Horde vor der Bühne endgültig die Vollbedienung verabreicht. Hossa, was ein Ausrufezeichen bei helllichtem Tage!

Jetzt geht es wieder in die andere Richtung, das scheint am Samstag Programm zu sein: den nach dem ruppigen Ruhrpott-Thrash kommen mit den 90er-Königen von Garbage Vertreter des Post-Grunge-Pops an die Reihe. Das sieht man schon am Backdrop - eben noch tiefschwarz, dürfen wir da jetzt pinke Leoparden bewundern. Ah ja. Zu den Klängen von "Empty" beobachten wir staunend, wie sich die wie stets mit rosa Haaren (aha!) gesegnete Shirley Manson in einem etwas zu knappen Leoparden-Kleidchen über die Bühne windet, auf den Boden wirft, uns freimütig demonstriert, dass sich das Leoparden-Thema auch auf der Unterwäsche fortsetzt, und dabei auch noch eine durchaus ordentliche Gesangsleistung abliefert. Die stets für eine Provokation gute Shirley schimpft wie ein Rohrspatz über das Wetter ("I am not used to the fucking sun!") und darüber, dass viel zu wenig Frauen auf dem Billing seien (jaja). Gitarrist Steve Marker kommt daher wie eine Mischung aus den Blues Brothers und Elvis Costello, Bassist Eric Avery könnte auch als U2-Stand in durchgehen - aber insgesamt schafft es die Kombo, einen gar nicht mal so unspannenden Klangteppich zu legen, den man sich auch als Nichtfan gerne anhört. Nummern wie "Stupid Girl" und "Push It" setzen mit den größten Erfolgen der Band Ausrufezeichen, die Discobeats und Samples laufen dem Publikum durchaus wohlig über den Rücken, während Shirley gut bei Stimme ankündigt, jetzt würde man uns einen Song vom Soundtrack des Buz Luhrman-Spektakels "Romeo and Juliet" von 1996 vorführen, was dann mit "Nr 1 Crush" auch der Fall ist - kein Wunder, war die Band in den 90ern doch in zahlreichen Filmen und TV-Serien zu hören, wobei heute leider die James Bond-Nummer "The World Is Not Enough" nicht zum Einsatz gelangt. Bei "Why Do You Love Me" zeigt Shirley bekleidungstechnisch dann wieder alles vor was geht, ahmt auf dem Boden durchaus explizite Handlungen nach - und wer sagt hier noch, der Pop sei brav und anständig (unsere spaßhafte Bezeichnung lautet spätestens jetzt gar bitch)? Weiter im Text geht es mit "I Think I'm Paranoid", bevor dann mit der allerersten Hitsingle "Only Happy When It Rains" der Zauber ein Ende hat. Als Vertreter der nichtmetallischen Fraktion nach dem Totalausfall von Faith No More [hey! - Kara] im letzten Jahr durchaus achtbar, ein Farbtupfer und ein amüsanter noch dazu - auch wenn Frau Manson sich doch etwas mehr benehmen sollte. Das tut man doch nicht, meine Dame!

Gerade rechtzeitig zur feierlichen Eröffnung des Gotthard-Basistunnels entern jetzt die gleichnamigen eidgenössischen Hardrocker (nur Gotthard, ohne Tunnel) die Bühne zwei. Schon die Bühnenkreation mit dem Schlagzeug auf der Karosserie eines massiven Straßenkreuzers, mit dem sich auch James Dean wohlgefühlt hätte, macht die Attitüde klar: jetzt regiert der Ami-Hard Rock, dass es eine Art hat. Als ob man sie gerade eben vom sunset strip gepflückt hätte, steigen die Kollegen mit "Bang", dem Titeltrack vom nach wie vor aktuellen Album, in ihr Set ein und zelebrieren dabei ihren höchst traditionellen Hardrock nach allen Regeln der Kunst. Microphone-Controller Nic Maeder, dem die schwere Aufgabe zuteil wurde, den 2010 tragisch verstorbenen Steve Lee zu ersetzen, schwingt sich mit authentischem US-Akzent und Vince Neil-Gestus durchs Programm, das mit "Get Up ‘N‘ Move On" und "Sister Moon" nahtlos weiterläuft. Bei "Right On" schnappt sich Herr Maeder dann auch selbst die Gitarre und hält bestens mit dem Rest der Saitenfraktion mit, bei der Leo Leoni auf der rechten Seite den Ton angibt und einen tighten, erdigen Sound fabriziert. "Master Of Illusion" und "Feel What I Feel" setzen den Reigen fort, der allerdings weniger durch Originalität glänzt als durch solides Handwerk - Schweizer Zuverlässigkeit eben, wobei mich die Landsleute von Krokus live schon einen Zacken mehr überzeugen konnten. "The Call" bringt dann feine akustische Balladen-Stimmung, und nach "Remember It's Me" und "Starlight" setzt es dann doch noch einen Reißer: das alte Schlachtross "Hush" (oft gecovert, landauf landab bekannt vor allem in der Version von Deep Purple) zündet die Menge ordentlich an, "nanana"-Gesänge allenthalben - na also, das geht ja doch! Nach "Lift U Up" gibt's noch "Anytime Anywhere" auf die Gehörgänge, dann winken uns die Herrschaften nochmals zu und entlassen uns in Richtung der kommenden Attraktionen. Ordentlich.

Nach Gotthard passiert dann das Unvermeidliche und der Teil von www.kuehleszeug.de, der die Nacht durchgesoffen hat - yes, mittendrin statt nur dabei - , muss aufgeben und verlässt das Gelände, um sich für den Sonntag und Maiden hübsch zu machen [na, also so war das nicht... naja vielleicht so ähnlich... - Holgi] Also muss der Fotograf jetzt ran und weiter berichten... Auf der Bühne nebenan wird Mando Diao angekündigt, der verbliebene Rest schaut sich in die Augen und wir entscheiden, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, das Abendessen einzunehmen. Gesagt, getan und schon entschwinden wir über die große Stadiontreppe dem Geschehen in der Arena und setzen unseren Weg auf der Suche nach Nahrung in Richtung Seebühne fort. So wirklich viele Fressbuden sind hier aber ebenfalls nicht zu finden: Wurst rot oder weiß, Pizza, Döner und ein Asia-Stand - viel mehr gibt es nicht zu entdecken, dafür ist aber vor jedem dieser Stände eine beachtliche Schlange, gerade vor dem von uns favorisierten Dönerstand. Also dann eben Asia, mit einem Becher Nudeln und einem Bier bewaffnet marschieren wir los Richtung Seebühne, wo gerade Serum 114 ihr Unwesen mit lässigen Punkriffs und -melodien treiben und von der Stadt, die sie lieben, erzählen, dass sie keine Rechten mögen und dass Menschen einander helfen sollten. Richtig so! Eine perfekte Umrahmung für unser Mahl... Langsam sollten wir uns allerdings mal merken, dass man Bierbecher voll schlecht auf schrägen Grashängen abstellen kann. Zum Thema Bier... Viel zu spät haben wir alten Sparfüchse rausgefunden, dass man fünf Bier für 20 Euro im Festivalspecial bekommt, anstatt für jeden Becher fünf Euro hinzuläppern. Das fünfte Bier lässt sich dann normalerweise auch noch gut auf die restlichen vier Becher verteilen, so dass diese eine gute Oberflächenspannung bekommen. Wer braucht schon Schaum?!

Gesättigt marschieren wir zurück ins Stadion, um den groß angekündigten "Co-Headliner" Gutterdämmerung - ein Stummfilm mit Rockbanduntermalung und lyrischen Einsprengseln von Henry Rollins himself - zu bestaunen. Während wir die Treppe herunterkommen, erleben wir gerade noch, wie Mando Diao dem wild gestikulierenden Publikum ihre Hitsingle "Dance With Somebody" im wahrsten Sinne um die Ohren hauen. In Sachen Gestikulieren stehen die Protagonisten auf der Bühne, die sich eines Großteils ihrer Kleidung inzwischen entledigt haben, ihren Zuhörern in nichts nach. Mann, da tropft richtig Schweiß von der Bühne. Was uns auf Konserve kaum wirklich beeindruckt, wird hier auf dieser Bühne zu einem kraftvollen Powerakt. Unfassbar!

Jetzt aber zu Herrn Rollins... Im Hintergrund startet der in schwarz-weiß gehaltene Film, den man wegen der Sonne im Rücken von unserem Standort aus hinter dem zweiten Wellenbrecher nur sehr schwer erkennen kann. Als flankierende Maßnahme stolziert eine eingehüllte Dame in Mönchskostüm auf die Bühne und trägt eine Art Arie vor. Herr Rollins kommt noch dazu und liest irgendwas aus einem Buch vor und dann darf die Band eine rockig atmosphärische Soundkulisse zu dem Film im Hintergrund aufbauen. Das Problem ist, dass wir eigentlich in Feierlaune sind, gerade haben wir Serum 114 und Mando Diao erleben dürfen... und jetzt? Eine Zeitlang versuchen wir uns einzureden, dass das ja nur das Intro sei, aber gute fünfzehn Minuten später ermüdet uns das Dargebotene eigentlich nur noch und wir suchen das Weite: "Zurück zur Seebühne" lautet der gemeinsame Konsens. Als wir oben an der Treppe ankommen, scheint noch ein Sänger auf der Bühne aufgetaucht zu sein, und es wird Black Sabbaths "War Pigs" kredenzt. Aber auch das kann uns jetzt nicht mehr zurückholen. Kann sein, dass das Ganze zu späterer Stunde besser gemundet hätte, aber so war Gutterdämmerung hier eher ein Stimmungskiller.

Leider hat das Programmkomittee aber auch nicht wirklich dafür gesorgt, dass auf der Seebühne als Alternative der Punk abgeht, denn dort liefern gerade die witzigen isländischen Cowboys von Solstafir eine ebenfalls mystisch-athmosphärische Show ab. Ok, dann setzen wir uns halt, wie viele andere auch, auf das Wiesenrund und genießen den Blick auf den Olympiasee und die Klänge der Isländer. Das ist zwar jetzt kein wirkliches Samstagabendprogramm, aber irgendwie nett, insbesondere, da wir neben uns den dunklen Parabelritter von Youtube samt Redaktion entdecken, der sich ebenfalls mit Rumliegen und Schmusen beschäftigt. Natürlich reden wir kurz über die besten Magazine der Welt - www.heavyhardes.de und www.kuehleszeug.de - , wobei sich der mitgereiste Kumpel vom Parabelritter beschwert, dass unsere Redaktion lässig am Bier nuckelt, während dem in der Parabelritterredaktion gerade nicht so ist. Eigentlich ein recht sympathischer Haufen. Wie dem Parabelritter Rockavaria gefallen hat, könnt ihr übrigens in seinem Video begutachten.

So langsam wird es dunkel an diesem Samstagabend und nach kurzer Überlegung - Iggy Pop oder Betontod - bleiben wir an der Seebühne, da wir der Meinung sind, dass uns die Punkrecken um Oliver Meister besser die Ohren durchpusten als der Popkönig Iggy. Tatsächlich geht in der nächsten Stunde auf der Seebühne gewaltig die Post ab. Schon bei dem ersten Song "Mein Letzter Tag" entsteht vor der Bühne ein riesiges Durcheinander aus pogenden Punkfans und dabei ist dort für sowas überhaupt kein Platz. Aber Betontod gönnen der feiernden Masse vor der Bühne keine wirkliche Pause, denn mit treibenden Krachern wie "Kinder Des Zorns" oder dem plakativen "Keine Popsongs" bis hin zu dem prolligen Mitsingschunkler "Wir Müssen Aufhören Weniger Zu Trinken" wird die Stimmung eher noch weiter eingeheizt, so dass der Pit vor der Bühne irgendwann auf die kompletten zwanzig Meter Bühnenbreite anwächst. Insgesamt kommen die Jungs aus Rheinberg auch noch sympathisch rüber, danken brav, dass, obwohl keine 500 Meter weiter eine der größten Rocklegenden der Welt auf der Bühne steht, hier das komplette Rund bis auf den letzten Platz voll ist. Natürlich bekommen auch Rechtsextremismus, Pegida und Co. eins drauf und während Basser Adam Dera noch meint, dass das eventuell in München nicht so ganz gut ankommt, teilt sich das Publikum in Buhrufe und Applaus. Einige sind sich noch nicht mal zu schade dafür, auf die Ansage, Rassisten mögen doch bitte ihre Hand heben und gehen, dann auch wirklich den Arm in die Luft zu strecken. Selbst wenn das nur Spaß war, es bleibt ein kleiner schwarzer Schatten über einem ansonsten großartigen Konzert, den man der Band sicher nicht anlasten kann. Ekelhaft! Egal, Betontod ziehen ihr Programm weiter durch und beenden dieses mit dem absoluten Ohrwurm "Ich Bereue Nichts", der vom Publikum wieder frenetisch mitgesungen wird. Sicher, Betontod ist alles andere als anspruchsvolle Musik, aber man muss ihnen lassen, dass sie den Punk noch leben wie kaum eine andere Band und dass sie einen ganzen Berg treffsichere Melodien und Texte im Gepäck haben, die man auf dem Rückweg zur U-Bahn noch an verschiedensten Stellen aus vielen Kehlen hören kann.

Immer noch mit dem Gefühl im Bauch, dass das Gebotene für einen Samstagabend insgesamt etwas lau war, suchen wir das total überfüllte RAW am Stiglmaierplatz - in dem man die Luft wirklich schneiden kann - auf, um den Abend mit Sodomvideos und einem Potpourri aus Slayer-, Testament-, Metallica- und Panterasongs ausklingen zu lassen. Insgesamt war auch heute ein schöner Tag, der erstens total anders und zweitens komplett festivaluntypisch war. Leider mit einem Durchhänger Gutterdämmerung, der ganz schön runtergezogen hat. Da würden wir uns dann doch lieber eine Band, die Stimmung bringt, wünschen, liebes Rockavaria.

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