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Festival-Bericht

Rockavaria

mit Iron Maiden, Sabaton, Slayer, Nightwish, Anthrax, In Extremo, Sodom, Apocalyptica, Gotthard & Powerwolf

Olympiastadion, München 27.-29.05.2016

Rockavaria-Sonntag - Wir atmen Blitze, es regnet Blut und andere Sachen, und Captain Bruce startet durch...

Gut erholt und erfrischt steht uns am nächsten Tag ein nicht unbedeutendes Abenteuer bevor - was wir allerdings noch nicht wissen, als wir uns, mittlerweile zu voller Mannschaftsstärke gewachsen, auf der Wiese vor der Seebühne niederlassen. Zu den Klängen der Doom/Stoner/Grunge-Formation Black Vulpine aus Dortmund ("das sind ja lauter Kindergartenmädchen! Aber die sind echt gut!", urteilt ein neu angereister Fachmann, der bis gestern noch Messehallen in Erlangen unsicher machte) beobachten wir, wie sich das Publikum doch ein wenig ändert: heute regieren die Motörhead-, Slayer-und Iron Maiden-Shirts, es ist der Tag der großen Namen und somit auch der Tagesticket-Nutzer. Am Devotionalien-Stand allerdings heißt es aufgemerkt: von den drei Festival-Shirts trägt nur eines auch den Namen der eisernen Jungfrauen auf dem Rücken, bei den beiden anderen möchte man glauben, Captain Bruce habe abgesagt. Auf Nachfrage informiert man uns: die Namensrechte seien so teuer, dass man sie nur für ein Leibchen habe erwerben können. Business is business. Nun denn. Wir genießen einstweilen die Sonne, die wirklich idyllische Seebühne, die zum Verweilen einlädt und sich als hervorragendes Forum für "kleinere" Bands erweist, zumal Songs wie "Demons Of Future" und "Twisted Knife" durchaus zu gefallen wissen. Wir diskutieren noch, dass uns die zwei Damen und der Gastherr an die Breeders und auch 7 Day Diary erinnern, dann wandern wir dann doch mal vorsichtshalber Richtung Arena - immerhin ist vorne stehen heute vollkommen alternativlos.

Dort beenden gerade The Raven Age ihr Set, die letzten Momente klingen sehr melodisch, und die Band kann sich über regen Zuspruch freuen. Die Franzosen von Gojira (Preisfrage - was bedeutet der Name? Man denke an einen japanischen Monsterfilm eines gewissen Herrn Honda...) legen auf Bühne eins los und bereiten zumindest mir dann eine kleine Enttäuschung. Allzu einfallslos und stumpf kommt der progressive Death Metal daher, mit viel Energie, dafür aber wenig Struktur und Melodie ballern die Herren um Joseph Duplantier ihre Geschosse ins weite Rund, das zu den Klängen von "Toxic Garbage Island" (doch sicherlich keine Anspielung auf die Kombo von Frau Manson gestern??), "L'Enfant Sauvage" oder "Stranded" sicherlich wackelt, aber zumindest aus unserer Sicht nicht vor Begeisterung bebt. Vielleicht ist es einfach noch zu früh am Tag. [Ihr solltet einfach nicht so viel saufen. Ich fand die Jungs äußerst cool und mitreißend! - Kara]

Da tritt uns Mark Tremonti doch reichlich melodischer und eingängiger entgegen. Was uns kaum wundert, lieferte der Herr doch zusammen mit einem gewissen Scott Stapp unter dem Namen Creed Anfang des Jahrtausends mit Human Clay einen Jahrhundertkracher des melodischen Hard Rock ab, wobei "Arms Wide Open" sogar einen Grammy abräumte. Nachdem Stapp aufgrund seiner Eskapaden nicht mehr tragbar war, gründete Tremonti 2004 mit Sänger Myles Kennedy die Folgeformation Alter Bridge; seit der Creed-Reunion 2009 werkelt Herr Tremonti somit in zwei Bands, was allerdings noch nicht genug scheint: seit 2012 zeigt er sich auch noch mit seinem Soloprojekt unter eigenem Namen auf Konserve und auf der Bühne, so eben auch hier und heute. Der aus unterschiedlichsten Rock- und Metal-Stilen beeinflusste Sound präsentiert grundsätzlich den von den genannten Kapellen zelebrierten, breithosigen, selbstbewusst-ausladenden Klang, wobei sich der Meister hier nicht nur als Gitarrero, sondern auch als durchaus brauchbarer Sangeskünstler verdingt. Nummern wie "My Last Mistake", "You Waste Your Time" und "Radical Change" rücken allerdings bewusst vom altbekannten Strickmuster ab und lassen sich wohl als metallisch inspirierten Post Grunge bezeichnen - harte Riffs, Soli und ruppige Ausritte kommen ebenso zu Ehren wie bedächtigere Momente. Wieder ein Beitrag fürs breitere Publikum, wobei die Masse jetzt eher wieder in Richtung links zu Bühne Eins strömt...

...denn hier kündigen sich die wieder erstarkten Anthrax an, die mit ihrer aktuellen Scheibe For All Kings den ihnen zweifelsohne gebührenden Erfolg feiern. Live immer ein energiegeladener Hochgenuss, mit einem musikalischen Katalog der Extraklasse, und bis unter die (bei einigen sehr kurzen Haarspitzen) motiviert, präsentieren sich die US-Thrasher seit dem Wiedereinstieg von Oberindianer Joey Belladonna in Hochform. Das wissen offenbar auch die Schlachtenbummler, die sich schon vor Beginn des Gigs derartig vor der Bühne drängen, dass erstmals der Abriegelungsmechanismus greift. Sprich: wer vor dem ersten Wellenbrecher steht, ist drin - wer rausgeht, stellt sich dann in der Schlange hinten an und muss auf das Glück hoffen, denn nach dem Nachtclub-Prinzip gilt: nur wenn einer rausgeht, darf wieder einer rein. Darüber kann man nun viel diskutieren, zumal es in der Arena (im Gegensatz zu Bozen) erneut keinerlei separate Waschräume gab - aber es ist nun mal so, die Sicherheit vor der Bühne wird so zweifelsohne gewährleistet, und nach einer kurzen, aber bangen Wartezeit schaffen wir es gerade noch so, zu den Klängen von "Caught In A Mosh" ganz vorne mit dabei zu sein. Dort führt Scott Ian wie gehabt seinen wilden Watscheltanz auf, "The Frank" Bello springt wild gestikulierend über die Boxen, und ein zunehmend gesichtsledrig wirkender Herr Belladonna zeigt, dass man auch bei mehrfachem Durchmessen der Bühne klassische Thrash-Hämmer wie das nun folgende "Got The Time" überzeugend aufführen kann. Aber, aber, da nimmt die Unbill ihren Lauf: auf den Bildschirmen, die doch eigentlich das Bühnengeschehen übertragen sollten, erscheint urplötzlich ein Menetekel. Eine konkrete Unwetterwarnung habe man erhalten, komplett mit Gewitter, Hagel und Starkregen. Die Besucherschar möge sich doch bitte unter den Schutz des Daches begeben, auch Arena-Ticket-Inhaber dürfen ausnahmsweise auf die Ränge. Tja, und da beginnt das Dilemma, das wir eben schon durchlebt haben: da hinten, unter dem Dach, da mag es ja im Fall der Fälle vielleicht lauschig und trocken sein - aber eben nur auf Fernglas-Distanz, die wir natürlich in keinster Weise akzeptieren können. So schließen wir uns dem Tross, der nun in der Tat aus der Arena hinaus auf die Ränge wandert, nicht an - solange uns keiner vertreibt, bleiben wir hier und feiern mit Anthrax weiter Reißer vom Kaliber eines "Antisocial" ab. Das neue "Evil Twin" gefällt ebenso gut, aber unsere Taktik scheint zunehmend gewagter: ab 17:02 Uhr gibt es keinen Einlass mehr in die Arena, wo eigentlich immer reges Kommen und Gehen herrscht. Fast schon passend wie der sprichwörtliche five finger death punch aufs Auge passt da das ebenso neue "Breathing Lightning" - nach neuem Anthrax-Stil weniger Gehoppel und mehr flüssiges Riffing, aber hoffentlich inhaltlich heute nicht zutreffend. Mit einem gewaltigen "Indians", komplett mit Wardance, beschließen die Amis ihren Set vor einer begeisterten Menge - alles gut gegangen bislang, kann man da nur sagen, zumal gegen Ende die Unwetterwarnung aufgehoben ist und auch auf der Seebühne das Programm wieder aufgenommen wird. Schade nur, dass mit "I Am The Law", "Among The Living" und "Efilnikufesin" einige Klassiker fehlten - aber dennoch bestens. Schon strömt die Menge wieder zurück. Wir stehen vorne!

Mit viel Spannung durfte man auch der nun folgenden Darbietung entgegensehen: spätestens seit die mysteriösen Schweden von Ghost mit ihrem Album Meliora einen Grammy für die Beste Metal-Performance abräumte, hat sie auch eine breitere Zuhörerschaft auf dem Zettel. Auch beim heutigen Stelldichein zelebrieren die Herrschaften ihr Konzept in aller gruseligen Schönheit: die anonymen Musiker - auf den Scheiben stets nur als "nameless ghouls" bezeichnet - erscheinen allesamt gekleidet in schwarze Roben, das Gesicht verborgen hinter metallenen Masken. Auch der unter dem Pseudonym Papa Emeritus III firmierende Sänger will nicht erkannt werden und hat zu diesem Zwecke eine Bemalung aufgelegt, die irgendwo zwischen Black Metal und Gene Simmons angesiedelt ist. Wer nun denkt, uns erwarte nun eine Stunde Schlagetot-Gewurzel, sieht sich getäuscht: vielmehr erleben wir eine Mischung aus Rockkonzert und Theateraufführung, bei der es musikalisch eine zutiefst eingängige Melange aus Doom, Psychedelic und klassischem 80er-Heavy Metal zu bestaunen gibt. Auch wenn man rein optisch einem satanischem Habitus frönt (umgedrehte Kreuze, griechische Symbole wie Alpha und Omega, außerdem Phantasie-Zeichen), überzeugen sowohl die Instrumentenfraktion als auch der Vokalist bei "From The Pinnacle To The Pit" und "Ritual" durch Atmosphäre und melodisches Gespür. Auch einen gewissen hintersinnigen Humor kann man ihnen nicht absprechen, als Herr Emeritus uns in Kenntnis setzt, der nächste Song "Cirice" verfolge den Zweck "to celebrate the female orgasm". Das kann man ja im Grundsatz durchaus gutheißen, und so begleiten wir auch Nummern wie "Absolution" und "Monstrance Clock" wohlwollend, wobei sich die ganz eigene Atmosphäre dieses Gesamtwerks immer mehr entfaltet. Mit einem dräuenden "good bye, and don't forget to fuck each other" werden wir dann aus dieser Zelebration entlassen - wir werden daran denken, wie auch immer die Umsetzung ausfallen mag. Das war... anders. Und gut. [*gääääähn* Sind sie fertig? Ja? Gut. - Kara]

Ganz und gar nicht anders, sondern zuverlässig schnörkellos sind dann Slayer, die die Massen mobilisieren wie bislang niemand an diesem Tag. Schmackig steigen die nach Anthrax zweiten der heute anwesenden "Big Four" des Thrash mit "Repentless" in ein Set ein, zu dem man nur sagen kann: wo Slayer draufsteht, sind sie auch drin (auch wenn es sich dabei um einen extrem verbreiteten Schreibfehler handelt, Eingeweihte wissen, das sollte eigentlich Sailor heißen und wurde auf dem ersten Demo nur verhunzt...NOT!). Wie gehabt die Anordnung: der gute Onkel Tom Araya mit zunehmend weißem Rauschebart in der Mitte, rechts Kurzhaarfetischist Kerry King, dem offenbar permanent die Geldbörse entwendet wird (warum sonst sollte man seine Hose mehrfach anketten?), und links ex-Exodus-Recke Gary Holt. Das ist wuchtig, massiv, eine wall of sound, die sich gewaschen hat, auch wenn die Abmischung die Gitarren ein wenig arg kategorisch rechts und links separiert. Tom ist stimmlich bestens aufgelegt, brüllt und gurgelt die Vocals wie nichts Gutes, und die sirrenden Wespen-Soli fliegen den Herren King und Holt nur so aus den Fingern. "God Hates Us All" heißt der nächste Steuerknüppel, gefolgt vom mächtigen "Mandatory Suicide", bei dem auch langsam der Regen einsetzt. Nicht weiter schlimm, das werden wir schon überstehen, wenn uns weitere Perlen wie "War Ensemble" kredenzt werden. Slayer zeigen sich dabei effizient, kompromisslos und auch seltsam disparat: wenn der wortkarge Herr Araya mal etwas sagt, dann sind es höfliche, nette Worte: "Thank you very much! You gotta love the rain, don't you?" Wo uns an ungefähr gleicher Stelle letztes Jahr Mille Petrozza kreischend aufforderte, wahlweise uns selbst umzubringen, das Olympiastadion zu zerstören oder die Toilettenschüsseln abzumontieren, begleitet der gütige Tom uns weiter charmant durchs Programm, bei dem es nach "You Against You" mit "Raining Blood" einen der formativsten Kracher der Bandhistorie, ach was sag ich des Metal überhaupt zu beklatschen gilt. Das nimmt sich auch der lacerated sky zu Herzen, der uns immer mehr begießt. Aber jetzt kommt ein "love song - Slayer style": "Dead Skin Mask" wird apokalyptisch zelebriert, "Hell Awaits" walzt alles nieder, bevor dann das schleppende, unheilskündende Riff des epischen "South Of Heaven" erschallt. Meine Herren, das ist wahrhaft grandios - und jetzt kommt (natürlich) der verstorbene Jeff Hanneman zu Ehren: beim abschließenden, explosiven "Angel Of Death" ziert das "Hanneman - still reigning"-Backdrop die Bühne wie schon beim Wacken-Auftritt im letzten Jahr. Aus, Schluss, die Knüppelfraktion rückt ab, wir sind beeindruckt.

Das wären wir sicherlich auch bei Sabaton gewesen, die nun noch zwischen uns und dem Hauptact stehen. Denn das Tarnhosen-Kommando unter Führung von Joakim Broden hat mit seinen episch-melodischen Hymnen genau das richtige Futter für hungrige Festival-Geher am Start. Dabei gibt es nur ein Problem: die Unwetterwarnung lag nicht so ganz falsch. Just zu Beginn des Sabaton-Sets beginnt ein Sturzbach, der mehr oder weniger apokalyptische Ausmaße annimmt. Die Schlachtenbummler, die sich eigentlich schon für Maiden positioniert hatten, fliehen in Scharen auf die Tribüne, plötzlich gibt es gar keine Schlange mehr zum Einlass für den Bereich ganz vorne. Wir schauen uns kurz an und beschließen: wir bleiben. Klar. Auch wenn das Wasser aus der kurzen Hose läuft und der Wams in kürzester Zeit seinen Sinn verfehlt und eher für Kälte sorgt. So kauern wir also da und beobachten, wie sich Sabaton dennoch mächtig ins Zeug legen: komplett mit Panzer als Drum-Riser, Maschinengewehren und Helmen fahren sie genau die feurige Show auf, die man von den Kollegen erwarten darf. Den Anfang macht ein glorioses "Ghost Division", und beim anschließenden "Gott Mit Uns" wird natürlich wieder die in Deutschland gern genommene "Noch ein Bier"-Version zum Einsatz gebracht. Insgesamt muss sich Fronter Broden (dessen Jäckchen mit den Metallplatten auch immer mehr spannt) doch über die Deutschen wundern: "In Sweden, no one would stand outside in this rain! But there you are, demanding more beer - incredible!" Pyros sind massiv zu Gange, als man sich mit "Carolus Rex" und dem gefeierten "The Art Of War" weiter durchs Programm-Manöver schwingt. Der Regen wird allerdings mittlerweile grenzwertig, so dass der Genuss doch ein wenig eingeschränkt ist, aber dafür können die Artisten auf der Bühne ja nichts - wobei Herr Broden zugestehen muss: "They had warned us about the weather..." Gehen wir mal in Ruhe davon aus, dass die ganze Chose auf der Kippe, sprich auf Abbruch stand - aber wird es da hinten etwas heller? Scheint so, denn gegen Ende des Sets scheint die Sintflut nachzulassen, und so können wir dann zumindest noch das wunderbare "Primo Victoria" gebührend abfeiern. Respekt vor allen, die vorne durchgehalten haben, und auch vor der Band, die durch ihre Energie allen Wettereskapaden zum Trotz für gute Stimmung zu sorgen verstand.

Tja, und dann ist es endlich soweit. The main event of the evening steht bevor. Gestern um 15:20 Uhr sind sie gelandet, man konnte das auf der Rockavaria-Website beobachten, als Captain Bruce die Ed Force One auf dem Flughafen München aufsetzte. Dass Iron Maiden live Jahr für Jahr an Qualität gewinnen, dass es ihnen wie kaum einer Band gelingt, generationsübergreifend die Massen zu enthusiasmieren, dass sie immer wieder Maßstäbe setzen in Sachen musikalischer Klasse (herrje, sogar einen Echo haben sie gewonnen für das neue Album, wo soll das hinführen?) und spektakulärer Inszenierung - darüber muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Die Frage ist also eigentlich immer nur: wie gut sind sie heute? Wie grandios wird die Show? Wie oft kommt Eddie? Wie oft können wir Nico hinter seinem Drumkit erspähen? Wie hoch springt Bruce? Und fällt Herr Gers wieder von der Bühne (das passierte allerdings bislang nur einmal)? Als das mittlerweile etablierte "Doctor Doctor" als Intro aus den Boxen schallt, gebe ich offen zu, dass ich mich fühle wie ein kleines Kind an Weihnachten. Man weiß genau, in den kommenden zwei Stunden ist man exakt auf dem richtigen Platz in der Welt, und das kann man niemand erklären, der diese Mischung aus Gitarrenharmonien, literarischen Texten und exaltiertem Tenorgesang nicht schätzt - aber diese verlorenen Seelen sind heute ja auch nicht da. Viel mehr versammeln sich die aus den Live-Videos bestens bekannten Fahnenträger, Kuttenfreunde und auch T-Shirt-Kämpfer (wobei ich mir nach wie vor die Meinung erlaube, bei Maiden trägt man kein Maiden-Shirt, aber das sei mir gestattet), als zu den ersten Klängen des neuen Albums ein riesiger Kochtopf hinter dem Drumset beginnt zu dampfen. Insgesamt ist die Bühne thematisch gehalten wie immer - gemäß dem Thema der aktuellen Scheibe geht es um die Mayas und ihr zerbröselndes Imperium, das wir in angedeuteten Tempelbauten und lustigen Stricken an der Seite erkennen. Da steht er plötzlich, der beste Flugkapitän der Welt, reckt seinen Kopf in die Inhaliermaschine - die natürlich einen irgendwie gearteten Schamanen-Zaubertank darstellen soll, schon verstanden - und bietet uns in bester Manier den episch-getragenen Start von "If Eternity Should Fail" vor. Gänsehautfaktor Hoch 10! Dann steigt die gesamte Mannschaft ins Geschehen ein, Nico haben wir beim Betreten seiner Schlagzeugwohnung kurz erhascht, Dave war bei einem ordentlichen Friseur und sieht nicht mehr aus wie Prinz Eisenherz, Cheffe Harris wird wohl ewig in Fußballshorts auftreten, Adrian umschifft die modischen Eskapaden der 80er gekonnt, und Herr Gers führt seinen seltsamen Ausdruckstanz auf, an den wir uns über die Jahre zwar gewöhnt haben, der aber immer noch seltsam wirkt. Alles in bester Ordnung also, der Sound ist von Anfang an glasklar [was leider nicht immer so war, viele andere Bands haben unter massiver Basslastigkeit gelitten - Kara], die bühnentechnische Inszenierung ähnelt mit atmosphärischer Beleuchtung, Detailaussstattung und pro Song wechselnden Backdrops einer szenischen Aufführung, Bruce schwingt sich heldenhaft in die höchsten Höhen - und die Menge ist dabei, vom Start weg. Weiter geht's (natürlich, wie immer) mit Song zwei der neuen Scheibe, das krachige "Speed Of Light" bollert ordentlich voran, und Bruce meistert auch diese exaltierten Momente gekonnt. Wenn einen dabei der Gedanke an die Zungenkrebserkrankung des Herren beschleicht, die gerade einmal zwei Jahre her ist, wirkt es umso bemerkenswerter, dass er hier und heute das Mikro schwingt, auf die Boxen springt, offenbar sehr ausgelassener Stimmung ist - und als einziger Metal-Fronter überhaupt in Wanderschuhen, Pluderhosen [Cargohose, Cargo! - Kara] und Kapuzenpulli vollkommen überzeugend ist. Bruce darf das. Sonst eigentlich keiner. In maximaler Plauderlaune informiert er uns, dass wir uns um das Wetter keine Sorgen machen sollen ("I will dry you up!"), und dass man heute auch einige Klassiker am Start habe ("We have old songs, but we like to call them legacy. Well, I am old, so I am legacy as well.") Nun, dann gehören auch wir wohl zum Vermächtnis, aber wenn wir - viele von uns erstmals - das immer noch strahlende "Children Of The Damned" live in einer solchen Qualität erleben dürfen, dann sind wir das mehr als gerne. Die Bühne wird zutiefst theatralisch beleuchtet, Steve springt wie auf dem Sportplatz hin und her, und Bruce krönt alles - selbst in ihrer eigenen Liga spielen sie heute auf den vorderen Plätzen. Die Robin-Williams-Gedenkhymne "Tears Of A Clown" bringt dann den ersten nicht essentiellen Beitrag - ordentliches Stück, aber nicht unbedingt die erste Garnitur. Das ändert sich dann allerdings flugs wieder: bei "The Red And The Black" schwelgt vor allem Meister Harris in seinem Element, bearbeitet den Bass wie eine Flamenco-Gitarre, zelebriert die Hoppelrhythmen ebenso wie die Mitsing-"hohoho"-Parts, und Bruce mittendrin. Ein Epos neueren Datums, aber ganz die alte Maiden-Schule. Sauber!

Dann ist aber gleich wieder Klassiker-Alarm: Eddie erscheint im Backdrop in roter Uniform, Bruce schwenkt einen zerfetzten Union Jack, und zum nicht mehr zählbaren Male schwelgen wir in der harmonischen Gewaltattacke der leichten Brigade, die uns schon die Nadel des Märchenplattenspielers im Kinderzimmer ruinierte. "The Trooper" ist ein unkaputtbares, unverzichtbares Schlachtross - das nun folgende "Powerslave" dagegen ein lange nicht mehr live erlebtes Juwel aus ihrer ersten artistischen Hochphase Mitte der 80er. Die düstere Mär des sterbenden Pharao gehört zweifelsohne zu ihren Glanzlichtern und wird hier und heute effektvoll aufgeführt, wobei Bruce die lustige Federmaske aus den Live After Death-Zeiten gegen eine seltsame Plastik-Kappe austauscht. Egal, das Kino hier ist unangreifbar groß und breitwandig. Zu "Death Or Glory", einem ruppig vorauspreschenden Headbanger von der aktuellen Scheibe, springt der Captain dann gar mit einem Affenpüppchen um den Hals umher und animiert uns, Kletterbewegungen zu vollführen - die Auflösung für Unkundige liefert er selbst: im Song gehe es ja bekanntlich um den "Roten Baron" Manfred von Richthofen, der über seinen Dreidecker sagte, das Flugzeug klettere wie ein Äffchen und drehe sich wie der Teufel. In Südafrika habe man dazu das Affenpüppchen auf die Bühne geschmissen, und die Tradition nimmt ihren Lauf. Insgesamt fällt auf, dass man entgegen der Metal-Konventionen alles andere als verbissen, sondern gut gelaunt und teilweise selbstironisch vorgeht, was allerdings der Gravitas des nun folgenden zentralen neuen Großwerks "The Book Of Souls" in keinster Weise Abbruch tut. Klar das gesangliche Highlight des Abends, unfehlbar in allen Höhen, ausladend in der Darbietung, eine Elegie auf untergehende Imperien. Wunderbar. Eddie stakst dazu als wütender Maya-Krieger über die Bühne und macht Jagd auf Herrn Gers und auch Bruce, was ihm allerdings schlecht bekommt... Zwischendurch plaudert Bruce eifrig, einer "Dame", die ihr Oberteil offenbar nur symbolisch mitgenommen hat und freimütig alles vorzeigt, ruft er im besten upper class Oxford Englisch zu: "Oh madam, what lovely breasts you have! And there's even two of them!" Das in den 90ern niedergeleierte "Hallowed Be Thy Name" erstrahlt in neuem Glanz, Zeremonienmeister Bruce macht uns komplett mit Strick den Kandidaten in der Todeszelle, der in dieser stockfinsteren Ballade auf sein Ende wartet, die Jubelmenge befolgt die wiederholten "scream for me München!"-Aufforderungen allzu gerne, bevor dann ein brillantes "Fear Of The Dark" als moderner Klassiker die Arena in einen kollektiven Gesangsraum verwandelt. Wenn es einen Signatur-Song der neueren Maiden-Historie gibt, dann ist es der hier: lang, hart, melodisch, mit Solo-Einlagen, die so eingängig sind, dass sie begeistert mitgesungen (!) werden. Aber wer hat denn an der Uhr gedreht?

Kann es sein, dass wir schon den alten Reißer von der "Iron Maiden" vernehmen müssen, der ja traditionell das reguläre set beendet? Ja, es kann, der Song knallt mit seiner vergleichsweise einfachen Struktur wie immer massiv daher - und jetzt alle Augen auf das Drumkit, hinter dem, so will es die Tradition, nun eine riesige Eddie-Figur erscheint, wieder im schicken Maya-Look. Nochmal Vollgas in Sachen Licht, Kamera, Aktion, dann ist der Zauberspuk vorbei. Aber nicht für lange: das von den Allgemeinbildungslevel-Fans vor allem herbeigesehnte "Number Of The Beast" eröffnet den Zugabe-Reigen, ebenso begleitet von einer dräuenden Riesenfigur, die aussieht wie der Leibhaftige aus dem Christopher-Lee-Vehikel The Devil Rides Out. Soll er auch, immerhin geht es um Tod und Teufel, und ebenso traditionell überzeugt das Stück zwar durch die schiere Energie und das frenetische Mitsingen der offenbarten Zahlenfolge durch die brodelnde Menge, aber stimmlich und musikalisch ist das wie immer nicht unbedingt das Glanzlicht. Egal, den Schlachtenbummlern sagt es mehr als zu, und mit der üblichen Vorrede über die grenzen-, rassen- und geschlechterübergreifende Macht der Musik ("no matter what gender you are - I thought there were only two, but I'm not so sure anymore" - immer wieder schön) gerät dann das hymnische "Blood Brothers" zur umjubelten Feierstunde. Ja, und jetzt fehlt nur noch ein Song... natürlich, hier kommt "Run To The" nix da! Dankenswerterweise lassen sie diesen Überhit, den sie live partout nicht hinkriegen, weg. Richtig. Ich fand das gut. Ich habe nämlich viel lieber das wundersame Stakkato von "Wasted Years" wieder einmal vernommen, auch wenn Adrian an den Backing-Vocals ein wenig schräg ist und Bruce stimmlich nun das Ende der Fahnenstange erreicht hat - dennoch lässt er sich den Spaß nicht nehmen, Adrian ständig den Mikroständer wegzudrehen. Aus, vorbei, wunderbar, ein krönender Abschluss ist erbracht. Nico wirft zum Rausschmeißer "Always look on the bright side of life" ein paar Drumfelle in die Menge, die wie ein Frisbee bis nach hinten schweben, man verbeugt sich und entschwindet. Iron Maiden is going to get all of you. So schaut's aus. Und Herr Gers fiel gar nicht runter.

So schlagen wir den Bogen zurück ganz zum Anfang: natürlich könnte man am Rockavaria einiges bemängeln: das Wettrennen zum Klo, das seltsame Lineup am Samstag (das mit dem Zelten lassen wir nicht gelten - reimt sich sogar) - aber entgegen der im Vorfeld häufig geäußerten Vermutung, das sei mit diesem Jahr ein für alle Mal vorbei, darf man sich angesichts der Zuschauerzahlen, der überraschend guten Idee mit der Doppelbühne und der traumhaft gelegenen Seebühne und auch der Einsicht des Wettergottes wohl doch auf eine Ausgabe drei freuen. Wir bitten darum am besten dann mit Rock- und Metaldisko in der Olympiahalle, damit man ab 23:00 Uhr noch was zu tun hat. Schließlich haben wir es ja nicht weit, und unsere Zaungäste scharren schon. Bis nächstes Jahr, meine Herrschaften. Wir sind wieder dabei!

UP THE IRONS!!!

Sebbes & Holgi

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