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Iron Maiden - The Book of Souls

Iron Maiden - The Book of Souls
Stil: Heavy Metal
VÖ: 04. September 2015
Zeit: 92:13
Label: Warner Music
Homepage: www.ironmaiden.com

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Manchmal im Leben gibt es eben denn noch Glücksfälle. Ich meine jetzt nicht die Tage, an denen man kleinere Belanglosigkeiten erlebt, also etwa einen lange verloren geglaubten Socken in der Waschmaschine findet oder feststellt, dass man ja doch ein Reihenhaus in der Münchner Innenstadt besitzt. Nein, ich meine hier die wichtigen Momente, mit denen man eigentlich gar nicht mehr rechnen durfte. Denn dass wir überhaupt noch einmal in den Genuss eines Studioalbums dieser Herrschaften kommen würden, das war fast schon abwegig geworden. Ominös hatte Steve Harris ja vor Jahren orakelt, er wolle nur 15 Werke vorlegen, und dass die 15. Scheibe dann The Final Frontier hieß, das ließ nichts Gutes vermuten. Auf Tournee präsentierte man 2012/2013 eine Wiederauflage der Maiden England-Gastspielreise von 1988, womit die Geschichtsstunden nach dem Somewhere Back In Time-Ausritt doch eigentlich abgeschlossen waren. In den Worten eines bekannten titanenhaften Torbewachers bemüßigte man sich zu fragen, "was soll jetzt noch kommen?" Als dann Ende 2014 bekannt wurde, dass ausgerechnet Vorsänger, Fechter und Pilot Bruce, der Inbegriff der Energie und der guten Laune, an Zungenkrebs erkrankt war, da machten sich ganz böse Gedanken breit.

Aber man war zu der Zeit bereits im Studio unterwegs gewesen, Mr. Dickinson hatte seine Dienste schon weitgehend erbracht. Der eigentlich für April geplante Veröffentlichungszeitpunkt wurde verschoben, um Zeit zur Rekonvaleszenz zu geben. Nach einigen Prozeduren, in denen unserem Luftfahrer nach eigenen, launigen Worten "das Gehirn gekocht" wurde, scheint er nun allerdings wieder auf dem Damm, so dass am 4. September unter einer durchaus großen PR-Maschine inklusive Plakat-Kampagne mit Eddie im finsteren Maya-Look (die die ach so liberalen Revoluzzer aus dem In-Viertel Kreuzberg auf die Palme brachte, arm aber spießig, gelle) das sechzehnte Album der Altmeister auf die Menge losgelassen wurde. Vorab gab es schon die Single "Speed Of Light" zu bestaunen, die mit forschem Tempo, ruppigem Riff und eingängigem Refrain in die Kerbe von "El Dorado" schlägt und durch ein äußerst kreatives Video untermalt wurde, in dem Eddie in Videospiel-Aufmachung der frühen 80er durch die Coverhistorie wandert.
Das war gut, typisches modernes Maiden-Futter, aber dennoch gehen wir mit Spannung an die schöne, wie ein Buch aufgemachte Deluxe-Edition, aus der uns gleich zwei CDs entgegenspringen.

Schon bevor der erste Ton erklungen ist, darf sich The Book Of Souls einige Rekorde, Erstlingserscheinungen oder lange nicht mehr Dagewesenes anheften: es ist das erste Studio-Doppelalbum aus dem Hause Maiden (der einzige Doppeldecker der Historie ist die legendäre Live-Konserve Live After Death), bringt mit mehr als 90 Minuten die mit Abstand längste Spielzeit aller Platten auf den Teller, zeigt seit ewigen Zeiten endlich wieder den von Steve Harris höchstpersönlich entworfenen Original-Band-Schriftzug, wartet mit einem Song jenseits der 18-Minuten-Grenze auf, hinter dem selbst ihr bisher längstes Epos zurückbleibt, und enthält die ersten Dickinson-Solo-Kompositionen seit Powerslave, wo er ja in Eigenregie "Flash Of The Blade" und den Titeltrack beisteuerte.

Aber, wie der Mann bei Schiller sagt, der Worte sind genug gewechselt, jetzt will ich Metal sehn: und der kommt nach einem kurzen, getragenen Intro in Form des Openers "If Eternity Should Fail" gleich mit der ersten Dickinson-Komposition daher. Der Song zündet sofort, wie schon "The Final Frontier" ein eher entspannter, atmosphärischer Rocker im Mid-Tempo, der durch gelungene Melodieführung und vor allem einen glänzenden Refrain einschlägt. Wir sind auf dem Weg, keine Frage. "Speed Of Light" kennen wir ja schon, der Track geht brutal nach vorne, gewinnt immer mehr und übernimmt die Rolle des eingängigsten und im positiven Sinne einfachsten Stücks der Scheibe. Denn eines ist klar: auch The Book Of Souls gehört zur progressiven Schaffensphase der Kollegen, die mit Dance Of Death ihren Ausgangspunkt nahm und mit A Matter Of Life And Death ihren kreativen, wenn auch nicht durchgängig gelungenen Höhepunkt fand. Ganz neu ist das ja nicht: lieferten Nummern wie "Aces High" oder auch "Flight Of Icarus" perfekt choreographierte Metal-Kompositionen mit Anfang, Mitte und Ende, mit Riff, Bridge und Refrain, gab es auch immer schon ausladende, eher epische Ausritte im Stile von "Alexander The Great", "Seventh Son Of A Seventh Son" oder, um mal ein Beispiel aus der ungeliebten Phase zu bemühen, "The Sign Of The Cross". Eben diesen episch-progressiven Weg, bei dem es weniger um den Mitsing-Faktor als um das Zuhören, um das Erleben der Songs geht, den beschreiten sie konsequent weiter, wie das Dave Murray im Interview schon formulierte - wer denkt, auf The Final Frontier seien sie komplex gewesen, der könne nun erleben, wie man sich austobt, so der Saitenhexer, der aus Anfangstagen noch dabei ist. Dieser Reigen der Epen beginnt nun mit "The Great Unknown", das noch sehr zugänglich ist mit den typischen Maiden-Rhythmen, die seit A Matter Of Life And Death den klassischen Galopp der Marke Powerslave ersetzt. "The Red And The Black" markiert dann das erste Epos, knackt erstmals die zehn-Minuten-Marke und zeigt Steve Harris an seinem Malkasten: alle Charakteristika seines Songwritings blitzen hier auf, typische Melodieführung und pumpender Refrain, bisweilen schimmern Chöre durch, die wir aus "Heaven Can Wait" kennen und lieben, oder auch Vibes des Instrumentals "Genghis Khan" von Killers - aber wir dürfen festhalten: Stevo versteht es erneut, damit nicht zu langweilen, sondern wohliges Feeling zu erzeugen. Definitiv auf der Haben-Seite. "When The River Runs Deep" ballert dann fröhlicher daher, mit griffiger Melodie und flottem Kehrvers. Auf dem Titeltrack eines so monumentalen Werks lasten naturgemäß immer besondere Erwartungshaltungen, und die kann "The Book Of Souls" auf ganzer Linie erfüllen: düster, unheimlich fast schleppt sich nach elegischem Einstieg das Riff heran, Dickinson evoziert in erhabener Inszenierung die Maya-Totenrituale, bevor sich Bridge und Refrain mit dieser unvergleichlichen Atmosphäre auftürmen, die das Geheimnis von Maiden im neuen Jahrtausend sind. Es ist nicht der einzelne Song, es ist diese ganz eigene Stimmung, diese Lebendigkeit und Frische des neu interpretierten, eigenen Klanggewands, die ihnen nur wenige zugetraut hätten und die sie vollkommen zu Recht in eine ganz eigene Dimension katapultiert haben. Beim ersten Anhören - komplex. Beim zweiten - man nähert sich. Ab dem dritten - genial. Nicht umsonst haben Dave und Bruce auf die großen Prog-Alben der 70er Jahre als Inspiration verwiesen: im Zeitalter der drei-Minuten-Handy-Schepper-Clips ein Anachronismus, den nur sie zu einem solchen Triumph führen können. Ende Disc 1.

Silberling 2 eröffnet mit einem Kracher: "Death Or Glory" prescht so schnell und forsch voran, wie es das Autorenduo Smith und Dickinson famos versteht, und serviert eine fett donnernde, würdige Ergänzung zum Kanon von Dickinsons Flieger-Liedern, den schon "Kill Devil Hill" und "Coming Home" bevölkern: sein blutrotes Flugzeug klettere wie ein Äffchen und drehe sich wie der Teufel, so stellte der "Rote Baron" Richthofen fest, und Dickinson schmettert uns das in Form von "climb like a monkey, turn like the devil" genauso leidenschaftlich entgegen wie den Refrain. Schnell, hart, fesselnd - ganz klassischer Maiden-Stoff, kracht sofort. Das kommt live ganz massiv, das steht jetzt schon fest. "Shadows Of The Valley" wartet mit Stakkato und flotter Melodie auf, bevor das getragen stampfende, nachdenklich-elegische "Tears Of A Clown" dem viel zu früh von uns gegangenen Robin Williams ein auch textlich beeindruckendes Denkmal setzt. "Man Of Sorrows" weiß durchaus zu gefallen, gehört aber nicht in die Oberliga der Schöpfungen der Herrschaften.

Aber nun, liebe Freunde, nun heißt es festhalten, Augen zu, Konzentration bitte. Der epische, überlange Abschluss-Track ist ja gute Maiden-Tradition, gehört sozuagen schon zum guten Ton (man denke nur an "Hallowed Be Thy Name" oder "To Tame A Land"- das hab ich vorher bei den Proto-Prog-Songs noch vergessen, immerhin kommt da der Kwisatz Haderach vor, und bei "Still Life" auf der gleichen Scheibe auch der Hatzemanuf), den sie allerdings in jüngster Zeit nicht immer getroffen haben - "The Thin Line Between Love And Hate" oder "The Legacy" konnten die Stiefel eines Maiden-Schluss-Epos definitiv nicht füllen, "When The Wild Wind Blows" markiert da wieder einen Schritt in die bekannte Qualitätsrichtung. Nun? Eine wahrliche monumentale Spielzeit von über 18 Minuten. Piano. Streicher. Die Geschichte eines Luftfahrt-Unglücks. Und: nicht etwa Steve Harris steuert das Grande Furioso bei. Nein, es ist Captain Bruce, der sich versuchen darf, und schon im Vorfeld stellte Stevo, der ja nicht gerade sein bester Freund ist, fest: "Das ist ein Meisterwerk. Ich darf das sagen, weil der Song ja nicht von mir ist." Er hat Recht, auf ganzer Linie. "Empire Of The Clouds" steht in der Tradition der ganz großen Kunstwerke der Bandgeschichte, mit einer getragenen, fast schon schlichten Piano-Melodie, von Herrn Dickinson höchstpersönlich eingespielt, über der er seine Erzählung vom Absturz des größten Zeppelins aller Zeiten ausbreitet, der britischen R101, die auf ihrem Jungernflug (ok, denn musste ich machen, sorry) 1930 mit Würdenträgern und Politikern zerschellte und den britischen Traum der großflächigen Luftfahrt ins ganze Empire mit sich begrub. Was Dickinson aus dieser Tragödie macht, ist einfach nur noch grandios, in einer melancholischen Steigerung aus einer simplen Melodie über expressive musikalische Passagen, die in einer akustischen Evozierung des Absturzes kulminieren, um wieder in aller Zurückhaltung zu enden. Ein solcher Wurf ist ihnen seit dem wundervollen "Rime Of The Ancient Mariner" nicht mehr gelungen, und es ist aus vielen Gründen erfreulich, dass nicht der übliche Verdächtige dafür verantwortlich zeichnet: spätestens mit diesem Song hat sich Bruce Dickinson als brillanter Kopf im Metal über alle einzelnen Gesangsleistungen hinaus verewigt.

So bleibt der Gesamteindruck eines monumentalen, überbordenden, ausladenden Gesamtwerkes, auf dem sich Maiden einmal mehr dadurch modernisieren, dass sie eben nicht der Moderne nachjagen, sondern sich auf längst vergessene Tugenden wie Geduld, Bedächtigkeit, Kunstfertigkeit und Qualität besinnen. Wer es damit schafft, die internationalen Charts zu stürmen und die Welt in atemlose Spannung über die Konzertdates zu versetzen, zu denen Bruce den ganzen Tross erstmals in einer 747 fliegen wird - der ist längst über alles erhaben.

Holgi

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