Review
Griftegard - Psalm Bok (MCD)
Nehm euch mal Zeit. Ganz genau, einfach Zeit und die berühmte Muße. Geht nicht, gibt es nicht, weil auf dieser CD nur zwei Songs stehen. Und diese gilt es, in sich aufzunehmen. "Charles Taze Russell" nennt sich der Einstieg und "Paul Gustave Dore" bildet danach den Abschluss. Bereits vor zwei Jahren wurden diese beiden Songs auf einer selbst aufgelegten CD-EP vertickt, Vinylfreunde griffen zur auf 500 Exemplare limitierten 12"-Ausgabe.
Alle Slow Motion-Freunde, denen der Erwerb bisher verwehrt war, können aufatmen, da Van Records die beiden Songs dieser Tage neu aufgelegt hat. Jetzt gibt es keine Ausrede mehr, sich das Teil nicht in den Schrank zu stellen. Das ganz in schwarz aufgemachte Digisleeve inklusive eines zweiseitigen Textinlays hebt die Stimmung schon beim Anblick. Jetzt kann die Mucke kommen, und wie sie kommt.
Das schwedische Quintett aus Göteborg zelebriert seinen Doom förmlich. Ausladende Riffmonster türmen sich vor dem Hörer auf, jeder Drumschlag ist prägnant und überlegt gespielt. Hier zeigt sich der wahre Schlagwerker. Sänger Thomas Eriksson brilliert mit einer klaren Stimme, die die Lyrics ergreifend nahe bringt. Fordert der Text nach Härte, so brechen die Emotionen aus dem Munde des Mikroschwingers stilvoll und ungekünstelt heraus. Kommt bei der Passage "on the doors of the sanctimonius" noch mehrstimmiger Gesang hinzu, stellt sich unweigerlich episches Breitwandkinogefühl ein. Schaurig schön und mit jeder Note ausgereift. Kommt nicht von ungefähr, hat das Stück doch einige Jahre auf dem Buckel. Der Namenspate des Stückes sollte jedem Zeugen Jehovas oder jedem an Religionsgeschichte Interessierten geläufig sein, denn gilt der genannte Herr und Bibelforscher als Schöpfer des Wachtturms (zu engl: watchtower).
"Paul Gustave Dore" gibt sich instrumental noch eine Spur zäher. Der Name des Titels ist nicht frei erfunden, es geht um den Maler und Musiker gleichen Namens, der neben anderen Werken im 19. Jahrhundert Illustrationen von Dantes göttlicher Komödie anfertigte. Dessen in vielerlei Grauschattierungen gemalten Bilder spielen sich zur Musik als imaginärer Film vor den Augen des Hörers ab. Wer sich darauf einlässt, wird mit dem Werk Dores vertraut gemacht. Musik, die in Bildern spricht. Hammer!
Wer sich klasssichem Doom verpflichtet fühlt, muss hier zugreifen. Erhaben, mächtig, episch, imposant, alles Adjektive, die es nur ansatzweise beschreiben. In Vorfreude auf das kommende erste volle Album, verbleibe ich mit der Höchstnote vollkommen ergriffen im Sessel mit geschlossenen Augen zurück.
Siebi
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