Review
Judas Priest - Rising In The East (DVD)
VÖ: 16. Januar 2006
Zeit: ca. 120 Min.
Label: Warner Music
Homepage: www.judaspriest.com
Kaum eine andere Reunion wurde so heiß diskutiert wie diese. "Endlich!" riefen die einen, wohl eingedenk der fantastischen Form, in der sich Iron Maiden seit ihrem Comeback präsentieren. Mit Judas Priest wäre dann endlich auch das zweite Schlachtschiff des klassischen britischen Metal wieder flott. "Ausverkauf!" ereiferten sich die anderen und erinnerten daran, dass sich Meister Halford in verschiedenen Interviews nicht gerade schmeichelhaft über seine Kollegen und den Metal an sich ausgelassen hatte.
Die Reunion-Scheibe Angel Of Retribution riss dann die Butter nicht so richtig vom Brot: klar ist das alles nicht schlecht, aber die Offenbarung war es nicht.
Aber, wie sagt schon die alte Fußballweisheit: Wichtig is aufm Platz. Wenn die Jungs nach wie vor eine gute Show bieten, muss das neue Material ja keinen interessieren. Und wer es verpasst hat, sich im Rahmen der ausgehnten Tour 2005 ein eigenes Bild zu machen, der kann das jetzt mit dieser Live-DVD nachholen.
Aufgenommen ist das Ganze in Japan, genauer gesagt im Budokan in Tokyo - und dass Japan für Metaller ein gutes Pflaster ist, weiß man seit den Tokyo Tapes von den Scorpions, seit der genialen Live-EP von Accept, von Live At Budokan von Ozzy Osbourne und eben auch von Judas Priest, die dort 1979 ihr erstes Live-Album Unleashed In The East einzimmerten. Nach der 80er-Haarspray-Sause Priest... Live! und der Verewigung eines Gigs der Ripper-Ära, '98 Live Meltdown, bietet Rising In The East nun also die mittlerweile vierte livehaftige Ablichtung der Herren. Das Urteil fällt dabei naturgemäß ähnlich aus wie schon bei der Beurteilung des Auftritts im Münchner Zenith: eine sehr solide Leistung, die definitiv Spaß macht, die aber an einigen Stellen die mittlerweile an ihre Grenzen stoßenden Fähigkeiten von Rob Halford deutlich offenbart. Das alles ist kein Problem, immerhin ist der Mann weit jenseits der 50, da kann man die sirenenhaften Schreie nicht mehr so punktgenau erwarten. Wenn da manchmal etwas nicht so genau auf den Punkt kommt, oder einige Passagen deutlich tiefer angestimmt werden als auf den Originalen, dann macht das die technische Versiertheit der Instrumentalversion mehr als wett. Die alten Recken Glenn Tipton, K.K. Downing, Ian Hill und Scott Travis - laut Covertext "The definitive line-up", da muss man wohl zustimmen - legen ihrem Sänger einen kompakten, in jeder Sekunde erstaunlich frisch klingenden Sound-Teppich zu Füßen. Vom obligatorischen Intro "The Hellion" über das erste Stück "Electric Eye", bei dem uns Rob aus einem leuchtenden Auge oberhalb des Schlagzeugs entgegentritt, bis hin zu den sich in unermüdlicher Folge anschließenden Klassikern steht die Instrumentalfraktion wie eine Eins. Es ist eine helle Freude, den beiden neben Dave Murray und Adrian Smith wohl besten britischen Gitarristen bei "Riding On The Wind", "The Ripper" und "Breaking The Law" zuzuschauen. Dass sie nicht mehr die Jüngsten sind, darüber müssen wir uns ja nicht auslassen, technisch ist das perfekt gebracht, und die Setlist lässt fast keine Wünsche offen - schade nur, dass von Defenders Of The Faith kein einziger Song dargeboten wird. Wo bleibt "Freewheel Burning" oder das geniale "The Sentinel"?
Aber angesichts des ohnehin ausgerufenen Klassikeralarms ist das halb so schlimm - wenn nach dem regulären Set der Sound eines Motorrads ertönt, Rob in einem Aufzug daherfährt, der den Village People die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, und dann "Seek him here, seek him on the highway" intoniert, dann fühlt man sich einfach an der richtigen Stelle. Rein redaktionelle Anmerkung: der einzige Unterschied zur Setlist der Europa-Shows liegt darin, dass anstelle des Flitzwald-Max-Covers "The Green Manalishi" der alte Reißer "Exciter" und das neue "Worth Fighting For" hereingenommen sind.
Mit einer Spielzeit von fast zwei Stunden, einem fetten 5.1 Sound und technischen Spielereien wie Split Screens bekommt man hier - obwohl bei Extras Fehlanzeige herrscht - eine runde Vollbedienung.
Warum ich dann nicht komplett begeistert bin? Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Sangesmeister Rob Halford das einfach abhakt und nicht wirklich bei der Sache ist. Die Gesangsleistung geht in jedem Fall ok, "Painkiller" live auf den Punkt zu bringen ist wohl kaum möglich, der Refrain von "Turbo Lover" klingt ein wenig arg müde, aber das kann man ja verschmerzen.
Aber das öde Herumgestapfe auf der Bühne, die wenig inspirierten Ansagen und der völlig mangelnde Kontakt zum Publikum - die halbe Zeit starrt er auf den Boden, wo wohl der Teleprompter steht (Ozzy lässt grüßen!) - lassen das alles ein wenig sehr nach Pflichtprogramm aussehen. Das gibt dem Geschehen irgendwie einen faden Beigeschmack - auf der einen Seite ist man begeistert, wie gut die Songs nach wie vor klingen, und auch die neuen Stücke wie "Judas Is Rising" gehen in Ordnung ("Revolution" ist aber auch live schwach). Auf der anderen Seite wird man den Eindruck nicht los, dass Halford das halt macht, aber lieber irgendwo anders wäre. Durch wirklich magische Momente, wie während der hervorragenden Version von "Diamonds And Rust" oder einem berauschenden "Victim Of Changes", machen die Pluszeichen das Rennen. Aber ganz knapp.
Ach ja, übrigens: das japanische Publikum muss man einfach gesehen haben. Ungefähr die Hälfte ist mit Anzug und Krawatte da. Köstlich.
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