Konzert-Bericht
Styx & Kansas
Tollwood, München 26.06.2005
Das Leben ist einfach ungerecht! Da gibt es hunderte von - durchaus guten - Rockbands, die sich überglücklich schätzen würden, auch nur eine richtig gute Stimme in ihren Reihen zu haben! Und es gibt Styx, seit über 30 Jahren ausgesprochen erfolgreich im Rock-Pop-Business unterwegs, mit gleich drei überragenden Sängern in ihrer 5-Mann-Formation.
Die beiden Gitarristen Tommy Shaw und James Young aus der Gründerzeit und Keyboarder Lawrence Gowan hätten locker alle drei das Zeug für eine Solo-Gesangskarriere, was sie zuletzt beim Doppelkonzert mit den US-Bombast-Rockern von Kansas auf dem Tollwood-Festival eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben. Da sie zudem allesamt - ebenso wie Bassist Ricky Philips (der jüngste Neuzugang der Styx-Familie) und Drummer Todd Sucherman - ihre Instrumente perfekt beherrschen und da sie augenscheinlich auch alle noch richtig Spaß haben live aufzutreten - auch vor für ihre Verhältnisse eher kleinen Auditorien - ist ein Styx-Konzert auch heute noch ein ziemlich einmaliges Erlebnis.
Die überragende Stärke der Mainstrem-Rocker aus Chicago bleibt aber ihr einmaliges Talent zum Schreiben von Melodienfolgen, die einfach nicht aus dem Ohr gehen. Was haben sie nicht für Klassiker der Rockgeschichte zu Papier und natürlich auf Platte bzw. CD gebracht! Und diese Klassiker bilden natürlich auch heute noch den Grundstock für ein jedes Styx-Konzert. So auch im Tollwood-Zelt: "Babe", "Come Sail Away", "Grand Illusion", "Lady", "Snowblind" und natürlich der Jahrhundertsong "Boat On A River" werden - größtenteils überraschend rockig - präsentiert. Ein wenig schade, dass "Mr. Roboto" im 18-Songs-umfassenden Medley von Drummer Sucherman versteckt wird. "Suite Madame Blue" fehlt ganz. Hätte man eigentlich noch bringen müssen. Statt einem der neueren Songs, die bei weitem nicht die Klasse der alten Styx-Hymnen erreichen. Großartig dagegen ihre Version des Beatles-Klassikers "I Am The Walrus" aus dem aktuellen Album Big Bang Theory, auf dem Styx ausschließlich Rock-Klassiker neu interpretieren. Überraschend dann auch der Auftritt von Gründungsmitglied Chuck Panozzo an Bass und später auch Gitarre, der sich seine schwere Erkrankung nicht anmerken lässt.
Ein Super-Konzert, auch dank der "Vorgruppe" Kansas. Da gibt es viele Parallelen zu Styx, obwohl die beiden Bands völlig unterschiedliche Musik produzieren. Während bei Styx jeder Song vom ersten Takt an ins Ohr (und nicht mehr raus) geht, findet man im Kansas-Repertoire kaum etwas zum Mitsingen oder -pfeifen. Selbst rhythmisches Klatschen fällt schwer. Zu viele Breaks, Tempi- und Rhythmus-Wechsel innerhalb der teilweise schon arg komplizierten Songs wie "Magnum Opus" oder "The Wall". Die Parallelen zu Styx: Auch die Jungs von Kansas um Teufelsgeiger Robbie Steinhardt verstehen ihr Handwerk und spielen, weil's ihnen Spaß macht (und nicht - nur - wegen der Kohle!?). Mit dem - eher schüchternen, fast bühnen-scheuen - Keyborder Steve Walsh besitzen sie zwar nicht drei, aber immerhin eine herausragende Stimme. Und sie haben einen der Rock-Klassiker schlechthin geschrieben; eine der schönsten Rock-Balladen aller Zeiten; einen der Songs, die man einmal im Leben live gehört und erlebt haben muss: "Dust In The Wind". Eigentlich völlig untypisch für den Kansas-Sound. Aber ein Titel, der nicht fehlen darf und der alleine schon das Kommen gelohnt hätte.
Da darüber hinaus aber zwei komplette 90-Miuten-Gigs von zwei zwar völlig unterschiedlichen, musikalisch aber überragenden Bands geboten wurden. Und da es das Ganze zum - für heutige Verhältnisse sensationell günstigen - Eintrittspreis von weniger als 30 € gegeben hat, war's sicher für die Fans aus beiden Lagern eines der Konzert-Highlights des Jahres 2005. Ein - hoffentlich nicht - einmaliges Erlebnis.
Herbert Steffe