Review
Marceese - Blood For Blood
Also aus Berlin Kreuzberg kommen ja leider bevorzugt irgendwelche Möchtegern-Räuber-Rapper, die vermeintliche "Aggro" verbreiten, aber eigentlich schön zu Hause bei Muttern wohnen und sich auf die Karriere als Ablage-Sachbearbeiter in einer Kanzlei für Umsatzsteuerdurchführungsverordnungsfragen vorbereiten.
Nicht so dieser Herr hier, bei dem es in keinster Weise um einen Geheimtipp für einen neuen angesagten Italiener, sondern um einen veritablen Tausendsassa (oder, wie Karl Valentin zur Bescheidenheit mahnte, 999-Sassa), der schon in unterschiedlichsten Bands und Genres unterwegs war, nach eigener Auskunft z.B. in Trash-Core-Gefilden, einer Kiss-Cover-Band, Glam, Deutsch-Pop, Spacerock und was noch alles. Nebenbei gibt er noch das Online-Magazin flamingyouth.de heraus.
Auf dem jetzigen Solo-Debut schlagt der Kollege Marceese Trabus nun allerdings gänzlich andere Töne an - versucht er sich doch im Reich der Singer/Songwriter (was ich immer ganz spannend finde, das wäre doch eigentlich jeder, der einen Song schreibt und singt). Üblicherweise verbergen sich dahinter Weltschmerz-Schrammler, die oft nerven, aber dieser Kollege hier zieht seine Inspiration aus sehr brauchbaren Vorbildern wie Neil Young, Johnny Cash, Pearl Jam, Counting Crows und anderen Helden. Atmosphärisch lassen die insgesamt zehn Songs einerseits zwar die "der Hund ist tot und die Frau ist fort"-Stimmung der Grunge-Ära aufleben, garniert mit durchaus kritischen und selbstanalytischen, teils autobiographischen Texten, aber das Psychedelic-Stoner- und auch Rock-Element kommt lobenswerterweise ebenfalls nicht zu kurz. Somit erinnert zumindest mich das Geschehen auch bisweilen an die akustischen Nummern wie New Model Army-Boss Justin Sullivan, ja auch nicht gerade ein Ausbund an Lebensfreude, der aber der Weinerlichkeit der Grunge-Zeiten nie erlag, und bei "Orionmoon" werden sogar Anklänge an die besseren Momente der Britrocker Oasis (die ja leider lange her sind) spürbar. Stimmlich kommt Marceese mit der treffenden Rauheit daher, die diese Art des Sounds fordert und benötigt.
Also, Kollegen, wer sich für Pearl Jam, Neil Young oder eben New Model Army erwärmen kann, der sollte hier mal ein Ohr riskieren.