Konzert-Bericht
U.D.O. & Sister Sin
Backstage, München 07.03.2015
Deutsche Wertarbeit, Beständigkeit, the German Tank, Schlachtross - es gibt wohl kaum ein naheliegendes Klischee, was noch nicht auf den dienstältesten Schwermetall-Vokalisten aus deutschen Landen herabzitiert wurde. Wenn Udo mit der guten alten Doro neben der blonden Haarpracht, die früher beide hatten, auch die Angewohnheit gemein hat, auf jedem Festival und auf jeder Club-Bühne Dauergast zu sein, dann passt das ja auch durchaus bestens. Ob es dabei ein neues Album im Gepäck gibt - und das gibt es wirklich und es hört auf den Namen Decadent, ist eigentlich weniger wichtig - die Musikwelt muss er sicher nicht mehr neu erfinden, der Herr Dirkschneider, aber für eine coole Show mit massiver Klassiker-Schlagseite sollte er doch immer gut sein. Sollte er? Das wollen wir herasufinden und pilgern deshalb gerne ins Backstage, heute ganz ohne Schnee, wie er uns noch bei Hammerfall im Januar berieselte. Naja gut... auch die Vorband Sister Sin und deren Sängerin sind nicht ganz unschuldig an unserem Besuch hier...
Heute ist es alles andere als proppenvoll im Backstage Werk. Selbst der Einlass wurde auf die Seite der Halle verfrachtet und so können wir ganz entspannt den Klängen der ersten Anheizerkombo Garage Days lauschen. Die vier Herren machen eine passable Figur und fabrizieren klassischen Heavy Metal, der sich auch im Outfit (Denim und Leather) äußert. Live klingt der Stoff der Buben eine Ganze Nummer härter als das, was man auf den PLatten der Kapelle begutachten kann. Stückchen wie "Paradise Lost" (welches sogar balladeske Töne beinhaltet!) oder auch das fein betitelte "Piece Of Shit" laufen gut rein. Nicht der übelste Beginn für den Abend, das findet im speziellen auch die kleine mitgebrachte Fangemeinde vor der Bühne.
Jetzt aber auf zum ersten Highlight. Für die nächsten 40 Minuten donnern Sister Sin ihren old school Metal (auf Konserve aktuell ist die Scheibe Black Lotus von 2014) ins Rund, und da ist der Kalauer vom alten Schweden mal wirklich angebracht. Die Rasselbande um Grazie Liv Jagrell zeigt mehr als deutlich, wie Female-Fronted auch sein kann: krachig, heftig, mitreißend und einfach nur cool. Die Dame, tätowiert, fesch in Netzstrumpfhose und Minitüllröckchen, räkelt sich gekonnt ums Mikro ("die hat aber auch das ganze Stripclub-Repertoire drauf", urteilt der offenbar in dieser Szene bewanderte Kollege Sebbes) und macht dabei nicht nur optisch, sondern auch stimmlich eine ganz hervorragende Figur. Roggenroll rules, und bei Nummern wie "Outrage", "Chaos Royale" oder "Fight Song" legt sich Frau Jagrell - teilweise mit dominanter Militär-Mütze auf, wir stehen stramm - derart ins Zeug, dass wir es nicht lassen können, ihr nach der Show noch gut gelaunt ein Foto abzuschwatzen. Der nun folgende Herr aus Solingen wird sich anstrengen müssen, um hier mitzuhalten...
...und versucht das auch redlich, als er auf einer komplett im obligatorischen Tarnnetz verhangenen Bühne mit dem Opener vom neuen Album ins Geschehen einsteigt. "Speeder" von Decadent geht als Eröffnungsnummer ok, schnell nach vorne auf die Zwölf, yeah. Herr Dirkschneider trägt sein Haar heute offen (also eher keins mehr), die Militärjacke ging auch schon mal besser zu, aber wir sind hier ja nicht bei Heidi Klum - das alte Reibeisen hat er immer noch konkorrenzlos gut im Griff, und so macht das Ganze durchaus Freude. Mit "Blitz Of Lightning" und "King Of Mean" geht's weiter im Programm, das die aktuelle Formation gekonnt inszeniert. Insbesondere Gitarrist Kasperi Heikkinen, vor kurzem noch in Diensten von Amberian Dawn, brilliert eins ums andere Mal mit seinen solistischen Einlagen - und am Drumkit sitzt ein Herr, der irgendwie aussieht wie eine jugendliche Ausgabe des Fronters selbst. Nicht nur irgendwie, denn es ist kein anderer als Sven Dirkschneider, son of Udo, der seit Anfang März Papas Tross verstärkt und hier ordentlich einen aufwirbelt. Respekt! Also alles in Ordnung soweit, wir freuen uns einen bunten Reigen Klassiker, und - schauen in die Röhre. Denn der farbige Blumenstrauß geht weiter mit "Independence Day", dem Titelsong der aktuellen Langrille "Decadent", "Black Widow" und schwingt sich dann zu einem Akustik-Set, in dem "Tears Of A Clown" und "Secrets In Paradise" zum Besten gegeben werden.
Das ist ja alles zweifellos in Ordnung, auch der offenbar in den Konzerthallen lebende, von uns liebevoll Mötley Crüe genannte, stets anzutreffende Mensch mit Sonnenbrille und buntem Hut rockt massiv (einmal sogar ohne Hut!!) - aber irgendwie vermissen wir die Einsprengsel aus Udos alter und erster Heimat. Hm. Sebbo befragt mich mit zunehmender Intensität, wann dann nun die Accept-Cover-Band an der Reihe sei, aber die Mannen lassen sich nicht beirren und feuern mit "Untouchable", "Metal Machine" (klingt für uns eher nach Margarita oder Metal Rita) und "Let Me Out" fröhlich weiter, ohne das Accept-Gebiet zu betreten. Die wundersamerweise zahlreich angereiste holde Weiblichkeit in der ersten Reihe störtâs nicht, die feuern Udo und himmeln Kasperi an - der sich dann im Zugabenblock dann doch noch bitten lässt und zumindest drei essentielle Klassiker darbietet. "Princess Of The Dawn", "Fast As A Shark" (yeah) und natürlich "Balls To The Wall" rücken den Haussegen dann wieder ein wenig in die richtige Richtung, aber mein Mitreisender lässt sich es sich danach nicht nehmen, der bis auf den Sänger vollzählig im Club anzutreffenden Kombo mitzuteilen, dass ihm Sister Sin doch deutlich besser gefallen habe. Danach war das Gespräch seltsamerweise beendet - was uns nicht weiter verdrießen konnte, gab es doch beste Beschallung und lecker Getränk und danach auch noch eine absolut irre Reise mit dem Nachtbus durch fast alle Stadtteile Münchens...
Setlist U.D.O.:
Speeder
Blitz Of Lightning
King Of Mean
Independence Day
Decadent
Streets On Fire
Black Widow
Never Cross My Way
Under Your Skin
Acoustic Set
*Tears of a Clown
*Secrets in Paradise
*Faceless World
Pain
Untouchable
Metal Machine
Mystery
Let Me Out
Metal Eater
Break The Rules
---
Princess Of The Dawn
Fast As A Shark
Balls To The Wall