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Konzert-Bericht

Metallica, Slipknot & Lostprophets

Olympiastadion, München 13.06.2004

"Metallica feels good tonight." Wenn James Hetfield das sagt, dann meint er nicht nur seine Band, die im kochenden Olympiastadion auf der Bühne steht. Er beschwört eine Einheit zwischen Band und Publikum, ein Gefühl, das sich die seriöse Presse ein paar Tage später in ihren erstaunten Besprechungen nicht erklären kann. Metallica fühlt sich gut, als Band, als Erlebnis, als Gewissheit, dass hier etwas ganz Besonderes stattfindet. Und es fühlt sich verdammt gut an. Aber fangen wir von vorne an.

Die Ansetzung in München ist Teil der Stadion-Tournee, die Metallica nach ihren wenigen Hallenkonzerten 2003 nun in diesem Jahr nachschieben. Die Abfolge der Spielorte - Dortmunder Westfalenstadion, Arena auf Schalke, Münchner Olympiastadion, Bremer Weserstadion - liest sich eher wie ein Bundesligaspielplan und macht klar: Metallica spielen immer noch in der Champion's League, sie sind neben Iron Maiden die unangefochtenen Könige. Auch wenn sie auf ihrem umstrittenen letzten Studioalbum St. Anger den Bogen vielleicht etwas überspannt haben, den Dreckfaktor der Produktion und die Aggressivität zu hoch gezogen haben, ist das Album ein unmissverständliches Statement: Metallica, das ist nicht nur "Nothing Else Matters" in MTV. Metallica ist laut, schnell und hart, Metallica ist Thrash. Das haben sie 2003, als Headliner zusammen mit Iron Maiden, bei Rock am Ring und Rock im Park gezeigt: die Konzerte übertrafen alle hochgesteckten Erwartungen. Sie haben ihre Spielfreude wiedergefunden, und sie haben vor allem ihr schier unerschöpfliches Reservoir an Klassikern wiederentdeckt. Load und Reload sind Vergangenheit, Master Of Puppets und Ride The Lightning geben den Ton an.

Ob das auch in München funktioniert, davon wollen sich schätzungsweise 50.000 im Olympiastadion überzeugen, denen das den Preis von fast 50 Euro wert ist. Das Wetter ist Glückssache: am Tag hat es noch geschüttet, auf den Seen gilt Sturmwarnung. Mit einer Regenausrüstung ausreichend für eine Ozeanüberquerung marschieren wir also hinein. Die Bühne steht mächtig vor der Gegentribüne, verhangen mit einem riesigen Tarnnetz, schräge Ebenen zeigen jetzt schon den Weg, den Hetfield & Co. während der Songs zurücklegen werden, vier Leinwände sorgen für eine ordentliche Übertragung des Geschehens bis in den letzten Winkel. Im Publikum findet sich die zu erwartende Kundschaft in gewohnter Arbeitskleidung (einschlägiges T-Shirt). Aber dieser Teil der 50.000 ist in der Unterzahl: fast schon dominieren die Normalos, sogar eine nicht zu unterschätzende Hundertschaft schicker Girlies hat sich her verirrt. Ein Rätsel, das sich später in einem einzigen Moment löst.

Fast pünktlich um 17:30 Uhr treten aber erst einmal die Lost Prophets an. Die sechs Jungs aus Wales kommen mit jeder Menge Vorschusslorbeeren. In ihrer Heimat genießen sie längst Headlinerstatus und sind gleich für zwei Metal Hammer Awards (Beste Band, Bester Live Act) nominiert. 2001 konnten sie mit ihrem Erstling The Fake Sound Of Progress auf sich aufmerksam machen und wurden von "Kerrang" prompt als "Best New British Band 2001" ausgezeichnet. Aber die britische Presse ist mit Vorsicht zu genießen, zu oft ist die "Beste Band der Welt" im nächsten Jahr vergessen. (Warten wir mal, was aus The Darkness wird.) Aber originell sind sie, die Lost Prophets: sie rühren auf ihrem aktuellen Album Start Something eine durchaus interessante Mischung aus Pop (nach eigenem Bekunden stehen die Jungs auf Duran Duran und Police), Metal und allerlei anderen Einflüssen an. Die Jungs um Sänger Ian Watkins wirken mit Jeans, Turnschuhen und Baseballcaps manchmal wie eine überdrehte Boyband, die auch in München für gute Stimmung sorgt. Eine gefällige Visitenkarte haben sie allemal hinterlassen, und wir wünschen ihnen alles Gute.

Nichts Gutes schwant so manchem, als sich das Backdrop-Bild für die nächste Stunde hebt: mit Slipknot haben Metallica einen Support an Bord, an dem sich die Geister scheiden. Für die Maggots, ihre Fans, sind Slipknot der kongeniale Ausdruck des Millenniums-Zeitgeists: aggressiv, nihilistisch, chaotisch, anonym. Für den Rest sind sie das vielleicht auch, aber noch viel mehr sind sie sinnloses Gebolze ohne Melodie und Struktur. In der Szene wirbelten sie 1999 mit ihren abgedrehten Masken, dem selbstgesteckten Ziel, möglichst "sick" zu sein und nebenbei mit ihrem wütenden Erstlingsalbum Slipknot jede Menge Staub auf. Nach dem Folgewerk Iowa ergingen sich Slipknot in jeder Menge Soloprojekten, und die Band galt eigentlich schon als tot. Mit Vol 3: The Subliminal Verses melden sie sich aber zurück und hauen heute auch dem Münchner Publikum ihre wahnwitzige Soundkulisse um die Ohren. Mit insgesamt neun (!) Mann auf der Bühne, darunter zwei Perkussionisten und ein scratchender DJ am Plattenteller, dreschen sich Slipknot durch Nummern wie "Three Nil", die Fan-Hymne "Pulse Of The Maggots" und "Disasterpiece". Dazu hüpfen und rennen die Maskenmänner in ihren Overalls wie besessen über die Bühne, das Drumset wird schon mal mit einem Baseball-Schläger bearbeitet, und der Perkussionist hockt wie ein Gorilla auf seinen Trommeln. Zu "Spit It Out" ordert Sänger Corey Taylor alle Fans, sich zu setzen und dann auf Kommando aufzuspringen. Bei dieser Szene zeigt sich klar die Reaktion der Menge auf diese Darbietung: einige sind wegen Slipknot hier und verwandeln den Moshpit in ein Schlachtfeld. Die machen auch Taylors Springspiel mit. Reihenweise ziehen sie danach sichtlich angeschlagen, viele mit deutlichen Blessuren, an einem vorbei. Die meisten aber ziehen es vor, sich zu unterhalten oder den Innenraum scharenweise vorübergehend zu verlassen. "Stay sick", gibt Taylor nach einer Stunde seinen Anhängern noch mit auf den Weg, dann ist der Spuk vorbei. Klare Ansage: Slipknot passen nicht zu Metallica. Mit Anthrax, Testament oder Exodus hätte es einige stilistisch weit stimmigere Alternativen gegeben.

Langsam wird es nun dunkel, und die Spannung steigt spürbar. Als ein nahe des Mischpults stationierter Turm mit Spotlights von Technikern bemannt wird, ist klar: gleich geht es los. Die Leinwände, die bislang nur das Slipknot-Logo zeigten, erwachen plötzlich zum Leben. Da sieht man eine Szene aus einem Kinofilm, ein erschöpfter Goldsucher irrt auf einem Friedhof umher. Aus den Boxen schallt nun Musik von Ennio Morricone, "The Ecstasy Of Gold", passend zur Szene, die aus Sergio Leones Western "Zwei glorreiche Halunken" stammt. Mit kurzgeschorenen Haaren winkt uns Lars Ulrich nochmal kurz zu, bevor er hinter das Schlagzeug steigt. Kirk Hammett taucht rechts auf der Bühne auf, Rob Trujillo beherrscht die linke Seite. James Hetfield baut sich in der Mitte auf. Mit der Morricone-Filmmusik haben Metallica auch ihr von Puristen ungeliebtes Konzert mit klassischer Orchesterbegleitung, S&M, eröffnet. Aber heute Abend gibt es keine Klassik. Heute Abend gibt es Klassiker. Als die ersten Akkorde von "Blackened" durchs Stadionrund hallen, sind 100.000 Arme oben. Es ist noch hell, aber die Atmosphäre ist mit Händen zu greifen. Metallica beherrschen das Geschehen sofort, ihre Präsenz ist umwerfend. Der Sound ist für ein Open Air überraschend gut (wenn auch einen Tick zu leise), die Band ist eingespielt, die Gitarrenharmonien und Melodieläufe passen. Hammett spielt wieder mit abgeklebten Fingern seine Boris Karloff-Gitarre (volle Punktzahl schon mal dafür), aber die Bühnenaction geht von Rob aus: er watschelt im Gänsemarsch über die Bühne, der Bass, den er wie sonst nur noch Maiden-Chef Steve Harris mit den bloßen Fingern zupft (wieder volle Punktzahl), baumelt irgendwo an den Knien. Ein liebenswertes Muskelpaket im Basketballshirt. Trujillo ist echter Teil von Metallica, nicht wie Jason Newsted, der irgendwie immer wie ein Fremdkörper wirkte. James Hetfield steht breitbeinig und selbstbewusst wie nie zuvor da, mit kurzen, fast poppigen Haaren. Seine Stimme ist klar herauszuhören und zeigt, dass er gesanglich seit den Anfängen unglaubliche Fortschritte gemacht hat. Melodische Passagen stehen jetzt gleichberechtigt neben aggressivem Röhren und mitreißenden "Hoi!"s.
Ohne viel Federlesens treten Metallica mit "Fuel" und "For Whom The Bell Tolls" jetzt weiter aufs Gaspedal, wobei vor allem letzteres Stück einmal mehr seine überragenden Qualitäten als Live-Song unter Beweis stellt. Danach nimmt sich Hetfield ein wenig Zeit, um zu reden. An dieser Stelle spürt man, was sich bei Hetfield alles geändert hat, damit bei Metallica alles wieder so werden konnte wie es mal war. Früher warf er mit Schimpfwörtern um sich, Jason wurde seinerzeit bei den Monsters of Rock-Festivals als "Our fucking new fucker" vorgestellt, Songs präsentierte Hetfield üblicherweise als "Some new shit". Heute klingt das ganz anders. James Hetfields Weg von ganz unten zurück nach oben steckt in jedem Wort, das er sagt. Kein fuck, kein shit, sondern "Metallica loves you". Und man glaubt es ihm. Er ist froh, noch mal davongekommen zu sein. Diese Einstellung, diese neue Begeisterung und Dankbarkeit steckt in jedem Song und macht das Besondere aus, das man auch heute wieder erlebt. Es ist genau dieser Aspekt, der nach aussen nicht erklärlich ist und der den Journalisten solche Probleme macht. Hier feiert ein Publikum seine Band und eine Band ihr Publikum, und das aufrichtig.
Musikalisch verweisen sie heute sowieso alle in die Schranken. "The Memory Remains" (mit begeistert mitgesungenem Melodieteil) und ein hervorragendes "Fade To Black" demonstrieren erstmals auch die eindrucksvolle Lightshow, die mit zunehmender Dunkelheit besser zur Geltung kommt. Vor allem auf Pyro-Effekte abgestellt, die sogar teilweise auf der Tribüne hochgehen, ist die Show einem Open-Air dieser Größenordnung mehr als angemessen. Hier gibt es keinen Firlefanz oder Details: heute ist großes Kino angesagt.
Danach fragt Hetfield, wie viele im Publikum St. Anger besitzen. Der Reaktion nach wohl alle, und als Dank gibt es jetzt das von Hetfield wieder als "Frantique" angekündigte erste Stück von St. Anger. Und siehe da: im neuen Klanggewand entfaltet der Song ungeahnte Power und Kompaktheit, vielleicht auch weil Lars Ulrichs Schlagzeug im Gegensatz zur Studiofassung nicht klingt wie eine Bonduelle-Dose. Mit "Wherever I May Roam", "Sad But True" und "Harvester Of Sorrow" können wir in der Folge weitere Titel aus unserer Wunschliste abhaken. Wenn man sich eine Playlist hätte zusammenbasteln dürfen, sie hätte ungefähr so ausgesehen wie das, was Metallica heute Abend bieten. Bislang gibt es von den Girlies übrigens noch keine Reaktionen. Auch das ist sad but true.
Hetfield leitet jetzt wieder auf St. Anger über und gibt weitere Erklärungen für das Phänomen, das hier abläuft. "I'll give my anger to you", sagt er zu den 50.000. "You'll give your anger to us, and we'll leave it right here." Seelenreinigung in bester Form, Hetfields Katharsis kostenlos für alle, die in einem furiosen "St. Anger" stattfindet, das vor allem in den melodischen Parts beeindruckt. Begeisterung allenthalben auch, als Hetfield auf Deutsch mit "Eins, zwei, drei" ein bretterndes "Creeping Death" anzählt, bei dem sie sich aber, das einzige Mal an diesem Abend, etwas verhoppeln, weil sie es zu schnell angehen. Bei "Damage Incorporated" thrashen Metallica nochmal mit Warp 8, diesmal präzise, bevor sie sich zunächst verabschieden.
So lassen wir sie aber natürlich nicht gehen. Nachdem sie sich ein wenig bitten lassen, kommt Kirk Hammett und spielt uns ein paar schöne, cleane Gitarrenläufe. Überhaupt hat Kirk viel mehr Raum als früher, auch das zeigt das neue Gemeinschaftsgefühl im Hause Hetfield. Das Ganze geht - natürlich - in die (einzige?) Metallica-Ballade über. Und jetzt ist plötzlich Girlie-Alarm: wie die Pilze schießen sie aus dem Boden, setzen sich auf Schultern, schwenken ihre Feuerzeuge, während Hetfield in bester Stimmlage "Nothing Else Matters" singt. Mit diesem Song haben es Metallica also wirklich in den Mainstream geschafft, und sie zelebrieren das Stück, wie die Angereisten es erwarten. Aber befremdlich schaut so ein Meer von Lichtern bei Metallica schon aus. Vielleicht um genau das zu dokumentieren, dass ihnen das ein bisschen unheimlich ist, geht das Stück komplett ansatzlos in die ersten Stakkato-Attacken von "Master Of Puppets" über. Und weg sind die Girlies, so schnell wie sie gekommen waren, um das Feld einem aus tausend Kehlen auf die Bühne gebrüllten "Master!" zu überlassen. Danach vielleicht das Highlight des Abends: Schlachtgetöse, Maschinengewehrsalven - "One". Hervorragend gespielt und gesungen, steigert sich der Song hin zu einem auch optisch mit Lichtblitzen und Leuchtraketen eindrucksvoll untermalten Höhepunkt. Nach dem obligatorischen "Enter Sandman" ist wieder Schluss.
Die 50.000 sind aber jetzt erst recht restlos aus dem Häuschen, so hörbar, dass Metallica nochmal antreten. Nach "Dyer's Eve" befragt uns Hetfield ein letztes Mal: wer hat die Platte Kill 'em all? Offensichtlich auch wieder jeder hier, und "Seek And Destroy" wird derartig abgefeiert, dass man seine Stimmbänder in den Folgetagen etwas schonen muss. Während der letzten paar Songs steht übrigens ein kleiner Junge mit großen Kopfhörern neben Ulrichs Schlagzeug, wohl ein Sprößling, und feiert kräftig mit. Auch verbeugen darf er sich zum Schluss. One big family. Das einzige fuck an diesem Abend ruft dann schnell noch Lars Ulrich ins Mikro. Weil ganz ohne ist es ja auch nix.
Fazit: "We are happy to be here", sagt Hetfield einmal. Wir auch. Bitte weiter so, mindestens bis wir alle zu alt sind um die vollen 2 1/2 Stunden zu stehen. Am Ende des Abends ist übrigens doch keiner nass geworden. Wenigstens nicht vom Regen.

Setlist Metallica:
The Ecstasy Of Gold
Blackened
Fuel
For Whom The Bell Tolls
The Memory Remains
Fade To Black
Frantic
Wherever I May Roam
Sad But True
St. Anger
Creeping Death
Harvester Of Sorrow
Damage Inc.
---
Nothing Else Matters
Master Of Puppets
One
Enter Sandman
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Dyer's Eve
Seek And Destroy

Holgi

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