Review
Within Temptation - Hydra
Wie toppt man eine Sternstunde? Man kann versuchen, es einfach nochmal ähnlich, aber halt einfach nur besser zu machen. Oder man schwenkt in eine Richtung ein, die zwar noch zum eigenen Stil passt, die aber keine bloße Wiederholung bietet, sondern genug Variation und Neuausrichtung, um erneut ein Glanzlicht zu setzen.
Letzeren Weg haben die holländischen Genrethronanwärter von Within Temptation schon beim letzten Werk beschritten: nach dem episch-bombastischen The Heart Of Everything kredenzten sie uns mit The Unforgiving eine Verbeugung vor dem Hard Rock und Metal der 80er Jahre, natürlich nach wie vor eingebettet in die orchestral-breitwandige Gangart, für die sie nun mal stehen. Dieser Geniestreich katapultierte die Herren und die Dame endgültig in die Champions League des melodischen Metal, eine Position, die sie mit der folgenden Tournee, einer inhaltlich eng angelehnten Comicserie und einer Jubiläumsshow am 13. November 2012 in Antwerpen eindrucksvoll zementierten.
Man darf also gespannt sein, welches Überraschungsei das aktuelle, mittlerweile sechste Studioalbum Hydra denn liefert. Siehe da, Sharon den Adel und ihre Mitstreiter verstehen es erneut, den konstanten Wandel weiterzuführen, ohne sich untreu zu werden. Der Opener "Let Us Burn" bietet extrem eingängige, groß inszenierten, melodischen Metal - also irgendwo zwischen dem eher straighten Unforgiving und dem pompösen Heart Of Everything. Gleich die zweite Nummer setzt dann die ganz spezielle Note des Albums: beim treibenden, schnellen, maximal einprägsamen "Dangerous" teilt sich Sharon die Sangesdienste mit einem Gast, der dem Song einen eigenen Stempel aufdrückt: Howard Jones bringt (bei zugegeben sehr melodiöser Gangart) entfernte Killswitch Engage-Vibes und auch Reminiszenzen an die Anfänge, als Within Temptation ja als Gesangsduo stets cleane Vocals mit Gegrunze verbanden. "And We Run" bringt den nächsten externen Mitarbeiter: Rapper Xzibit sorgt dafür, dass die Nummer - neben einem fein schwebenden Refrain - durchaus in der Nähe von Linkin Park und Konsorten angesiedelt ist (mit dem Unterschied, dass hier die Musik taugt). Dann folgt der nach meinem bescheidenen Dafürhalten absolute Hauptgewinn: "Paradise (What About Us)" zeigt nachdrücklich, warum Nightwish zu Zeiten von Once die unbestrittenen Könige des female fronted Metal waren. Stimmgewaltig wie eh und je, schwingt sich Gastsängerin Tarja durch ein Stück, das auch neben "I Wish I Had An Angel" oder "Dark Chest Of Wonders" eine hervorragende Figur abgegeben hätte. Mit schneidigem Gitarrenriff und Monster-Refrain klar das Meisterstück des Albums. Welch eine Eröffnung! Auch die weiteren Nummern wie "Covered By Roses", "Whole World Is Watching" (ruhiger) und "Silver Moonlight" (schmissig, fast heftig) halten das Level hoch, einzig und allein "Tell Me Why" zündet nicht so ganz.
Aber das ist bei einer so runden Leistung nun wirklich Leiden auf verdammt hohem Niveau. Mit Hydra präsentieren sich Within Temptation als Meister des melodischen, epischen Metal, der definitiv auch Sympathien findet, wo sonst keinerlei harten Klänge Gehör haben.
Die Deluxe-Edition kommt mit einem fetten Booklet und einer Bonus-CD, auf der die Vorliebe für Popsongs nochmals dokumentiert wird - allen voran mit einem brillanten Cover des schön melancholischen "Summertime Sadness" von Lana Del Rey, das sie auch live rausgefeuert haben. Außerdem lassen diverse "evolution tracks" die Songentstehung einzelner Stücke mitverfolgen.
Wie eine gewisse Schlagersängerin derzeit aus jedem Lautsprecher schmettert: großes Kino für uns zwei!