Review
Die Happy - Bitter To Better
Vielversprechend ließ sich der erste Einblick ins neue Werk aus der Die Happy-Fraktion an: die Single-Auskopplung "Big Big Trouble" erfreute uns mit einer deutlich rockigen, sofort eingängigen Marschrichtung (siehe Review der Single). Somit stellen sich bei Inaugenscheinnahme des Albums Bitter To Better gleich mehrere Fragen:
1. Schaffen alle Songs die Messlatte, die die Single in luftige Höhen gelegt hat?
2. Finde ich ein Abspielgerät für die Review-Kassette (!!!)?
3. Und vielleicht am wichtigsten: wird es Flash Gordon gelingen, den fürchterbaren Haimännern zu entkommen?
Fangen wir mal mit Frage zwei an, ins Haus flatterte uns anstelle der gewohnten CDs ein Hardcore-Old-School-Medium in Form einer Musikassette, wie das früher mal hieß. For Promotion Only, sagt die Hülle, not final tracklist, not finally mastered. OK, schon gut, über das endgültige Soundgewand können wir uns also kein Urteil erlauben. Das haben wir allerdings auf der Single schon inspiziert, gewogen und für fett befunden.
Dennoch ist das ein wichtiger Punkt: für die Produktion des Vorgängers The Weight Of The Circumstances hatte man noch die Dienste des Teams The Matrix (die Produzenten, nicht Keanu Reeves) in Anspruch genommen, um den Welteroberungsabsichten das nötige Gewicht zu geben. Da fühlte man sich allerdings offenbar nicht so gut aufgehoben, und so taten sich die Ulmer nach einer einjährigen Pause schließlich mit Udo Rinklin zusammen. Herausgekommen ist eine klare Entwicklung weg vom Crossover und hin zum straighten Rock, der mal heftig, mal sanft daherkommt, aber immer songwriterische Klasse beweist. Es dauert nicht lange, sich in alle Songs der Scheibe hineinzufinden, der Opener "In Love" brettert mit einem schroffen Riff daher, während uns Marta wieder einmal mit ihrer Stimmgewalt verzückt. Oder ob das wohl daran liegt, dass hier Dick Brave (the artist formerly known as Sascha) vor ihrem geistigen Auge schwebte? Wanns huift.
Auch der ebenfalls bestens gelungene Titeltrack hält den Härtegrad durchaus oben, wobei jetzt schon auffällt, dass die Gitarrenklänge im Vergleich zu früheren Werken etwas zurückgenommener und melodischer gestylt sind, wobei im Gegenzug die Basslinien die nötigen Treibsätze liefern. "Nur wenn ich dabei springen und abgehen kann, merke ich, ob ein Song funktioniert", meint Frontfrau Marta - und hier wollen wir überhaupt nicht widersprechen. Es funktioniert. Bitte springen und abgehen. Weiter geht's im Reigen der schönen Melodien, die teilweise auch von Fremdschreiberlingen beigesteuert wurden: so etwa stammt "I Am" aus der Feder von Diane Warren, die schon für Aerosmith, Alice Copper und Bon Jovi Notenzeilen füllte. Klares Zeichen dafür, dass man natürlich immer wieder mal in Richtung Radio schielt, und dass man hier und da glauben könnte, einem überdurchschnittlich lichten Moment von Avril Lavigne beizuwohnen - aber das ändert nichts daran, dass hier Rock-Material allererster Güte mit einer Sängerin in Top-Form kredenzt wird.
Neben der hüpfburg-tauglichen Single ragen noch "Hate To Love You", "King For A Day" und auch das letzte Stück "Cancer" hervor, das sich als komplexeste der neuen Nummern entpuppt. Insgesamt schaffen es Die Happy, endgültig aus dem Schatten der Guano Apes, in den sie so oft gestellt wurden (ja natürlich, deutsche Rockband mit Frau am Mikro, was soll das sonst sein? Deppen), herauszutreten - um den Preis, ein Stück weiter Richtung Allgemeinverträglichkeit zu gehen. Aber das ist gerne verschmerzt angesichts der Tatsache, dass hier eine deutsche Band ein durchgängig hochwertiges Rockalbum abliefert, das Lust auf Live-Konzerte mit Marta und ihren Jungs macht. Und das übrigens auch noch im Dual Disc Format herauskommt, also einer Kombi aus CD und DVD, die dann alle Tracks im 5.1 Mix sowie Backstage- und Akustik-Material enthält. Schön. Damit wären also fast alle Fragen beantwortet - und um die Sache komplett zu machen: klar entkommt Flash den Haimännern. Schließlich wartet Prinzessin Aura auf ihn. Und die würde auch bei Die Happy keine schlechte Figur machen.
Vorheriges Review: Motörhead - Ace Of Spades (Dual-Disc)