Review
Various Artists - Wacken 2007 - Live At Wacken Open Air
Wacken reiht sich langsam in die handverlesenen Festivals ein, die einen nachgerade legendären Ruf genießen. Das alljährliche Schauspiel, dass gleich einer Wikinger-Invasion abertausende finstere Gestalten auf ein 1800-Seelen-Dorf einstürmen, dieses vier Tage belagern und dabei auch noch friedlich mit den Einwohnern koexistieren, hat nicht nur innerhalb der Szene für Aufsehen gesorgt, sondern sogar im Mainstream zu interessanten Wahrnehmungen geführt. So etwa staubte das Wacken 2007 den Preis als Bestes Live Event des Jahres ab, und die so ganz und gar nicht metallische Regisseurin Sung Hyung Cho widmete sich in der liebevollen Dokumentation Full Metal Village nicht dem Festival, sondern vielmehr seinen doch durchaus denkwürdigen Rahmenbedingungen.
Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die bei Besucherzahlen jenseits der 70.000 beklagen, Wacken sei zu groß für seine eigenen Schuhe geworden: zu viel, zu gehypt, kaum eine Chance die favorisierte Band überhaupt zu sehen, wenn man sich nicht 12 Stunden vor Beginn auf den Weg macht, und überhaupt ist das ja alles zu bekannt und die Girlies kommen schon und die ganzen Reunions ach lass mich doch.
Nun, man kann beide Haltungen verstehen - Metal-Mekka oder Kommerz-Kult. Die aktuelle, sehr fette Konservierung des Events aus dem Jahr 2007 versucht verständlicherweise, das Pendel in die erstere Richtung ausschlagen zu lassen. Zusammengestellt auf einem wahrlich monumentalen Package, das auf zwei DVDs geschlagene 360 Minuten Material versammelt, präsentieren sich insgesamt 50 Bands mit 65 Live-Tracks. Darunter tummeln sich so verschiedene Acts, wie das Metal-Universum breit ist: die völlig kaputten Napalm Death prügeln "Fatalist" und das unvergleichliche "Nazi Pucks F** Off", Rage setzen mit "From The Cradle To The Grave" und "Turn The Page" orchestrale Opulenz dagegen, Lacuna Coil - die 2007 ja mit Gewalt den Durchbruch schaffen wollten, denen das aber nicht ganz gelungen ist - liefern das Depeche Mode-Cover "Enjoy The Silence" und "Closer". Weiter geht der Reigen mit starken Darbietungen von Iced Earth ("Ten Thousand Strong", "Prophecy" - noch mit Ripper Owens am Mikro), Blind Guardian (wunderbare Akustik bei "The Bard's Song", schöne Atmosphäre bei "Mirror Mirror") und den Veteranen Saxon ("Let Me Feel Your Power", "Strong Arm Of The Law"). Die von vielen erwartete Immortal-Reunion nimmt natürlich einen würdigen Platz ein: "Unsilent Storms In The North" und "Withstand The Fall Of Time" zeigt die Kung Fu Pandas in bester Verfassung. Amüsante Randnotizen bieten dann die Metalcore-Vertreter Neara (Wall Of Death! Jawoll!) und Maroon, deren Shouter sich mal kurz bis auf die Ünnerhoos nackig macht. Um nur einige weitere Highlights zu nennen: Schandmaul bedienen mit "Walpurgis Nacht" die Mittelalter-Freaks ebenso wie Subway To Sally mit "Auf Kiel"; J.B.O. erweisen sich einmal mehr als "Verteidiger Des Wahren Blödsinns"; die umstrittenen Newcomer Sonic Syndicate ziehen eine durchaus überzeugende Show ab ("Blue Eyed Fiend"). Wie man bereits sieht, ist die überwiegende Mehrzahl der Kombos mit zwei Songs vertreten, so dass man ein recht gutes Bild der Gesamtleistung erkennen kann. Die Apokalyptischen Reiter bilden hier zwar die Ausnahme, aber auch der einzige Beitrag "Reitermania" reicht, um zu belegen, dass die Reiter immer wieder für ein Tollhaus gut sind: zwei Fans in Badeklamotten schippern auf je einem Schlauchboot quer über die Menge und zurück. Fazit: zumeist gute Bild- und Soundqualität, nur bei den Nachtaufnahmen wird es bisweilen etwas holprig, was die Schärfe anbelangt. Insgesamt aber eine gute Auswahl und eine feine Zusammenstellung.
Fast interessanter ist allerdings die Dokumentation "Wacken 2007", die jeweils zwischen den Highlights des ersten Tages eingestreut ist. Darin macht sich der rasende Rockpalast-Reporter Guido Weiss auf die Suche nach dem wahren Wacken - und er findet einen massiven Stau, Szenen der Invasion, lustige Ortsbewohner, die die verrückten Metaller im Garten zum Frühstück bewirten, und durchweg lockere Veranstalter und Musiker. Wir erfahren, dass die Chose bis kurz vor knapp vor der Absage stand und nur durch einen gewaltigen logistischen Akt gerettet werden konnte (Entwässerung, Drainagen, Stroh allenthalben, fraget nicht). Alles super, Wacken rules, best in the world. Man spürt das Bemühen, das Festival nach wie vor als heimeliges Event in einem schrulligen Dörfchen darzustellen, bei dem sich alle lieb haben und der Fan über alles geht. Auch wenn hier sicherlich die negativen Stimmen nicht allzu sehr zu Wort gelangen: der Eindruck ist in der Tat ein positiver, und die Doku ist sehr schön gebastelt - ein hübscher Begleiter zu Full Metal Village. Die anderen beiden Dokus bieten dann eher Randaspekte ("Behind The Scenes" zeigt die Organisation und die Security, "Camplive" zeigt Abseitiges von den Zeltplätzen).
Wem das alles noch nicht reicht, dem sei die Premium Edition ans Herz gelegt: hier gibt es eine Scheibe Zusatzmaterial, das 21 weitere Livetracks (u.a. von Blind Guardian, Lacuna Coil, Volbeat, Moonspell, Rage, Schandmaul, Saxon, Dimmu Borgir und dem unvergleichlichen Mambo Kurt) und zwei Dokumentationen umfasst, darunter "Let There Be Light", die eigens die Lightshow für den Saxon-Gig - ähem, beleuchtet.
Wer schon immer mal wissen wollte, was der ganze Zirkus um dieses Festival soll, der bekommt hier die Vollbedienung und kann sich selbst ein Urteil bilden, ob er das mal an Ort und Stelle mitmachen will. Und wer 2007 dabei war, wird die eine oder andere schöne Erinnerung auferstehen lassen.
Fein! Und Wacken 2008? Einzige Iron Maiden-Show in Deutschland auf der Somewhere Back In Time-Tour. Wer hat gesagt, dass das Leben fair ist?
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