Review
Nebelkrähe - Entfremdet
VÖ: 26. Juni 2009
Zeit: 50:54
Label: Eigenproduktion
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Flattert mir doch hier das Debüt der Münchner Black Metal-Band Nebelkrähe ins Haus, komplett in Eigenregie aufgenommen, und mir fallen erst mal die Augen raus. Im Päckchen befindet sich nicht nur der übliche Promo-Beipackzettel, sondern auch ein schicker Pressebogen. Eine Finished Copy des Outputs versteht sich natürlich von selbst - ausgestattet mit einem dickem Booklet. Da muss man sich doch fragen, warum viele der großen Labels es nicht mal mehr nötig haben, Musik überhaupt auf Scheiben gepresst an die Presse zu verschicken. Aber genug der Politisiererei, wenden wir uns dem Kern dieses Artikels zu.
Entfremdet heißt der Silberling der fünf weißgesichtigen Musiker, die sich so kryptische Namen wie umbrA, Morg, Euphorion, Kar und Latrodectus geben. Schwarzmetall ist das Motto, auch wenn man gerade am Bass merkt, dass die Jungs früher auch ein wenig Death spielten. Die Scheibe präsentiert sich überhaupt sehr abwechslungsreich und hebt sich deutlich von der Masse des Black-Metal-WeilsGeradeInIst-Geschrubbels ab. Zwischen den kalten, stählernen, frostbitten - kurzum: genretypischen - Gitarrenklängen finden sich melodische, thrashige und progressive Parts, teils melancholisch, teils antreibend oder auch geheimnisvoll anmutend. Im Instrumental "Dem Alb Entronnen, So Nah Dem Traum" klingen sogar einige psychedelische Elemente an.
Auch die Lyrics sind weder abgedroschen noch kauen sie die gängigen Themen der Szene wieder. Keine einfachen Hasstiraden auf Religion und Gesellschaft, keine Beschwörungsformeln an alte Götter. Nein, die Lyrics verdienen ihren Namen zu Recht, kann man ihnen doch den Status echter Lyrik zusprechen: "Der Dichter äußert unmittelbare Gefühle und Gedanken eines lyrischen Subjektes [...] Beziehungen zwischen Subjekt und Wirklichkeit werden ästhetisch am stärksten verallgemeinert. Lyrik ist stark sinnbildlich und rhythmisch, oft gereimt und mit Musik verbunden."
Lyrische Subjekte auf Entfremdet sind Entfremdung (yes, indeed - ich habe selten einen so passenden Albentitel erlebt) - sowohl von der Gesellschaft als auch von sich selbst - die menschliche Seele in ihrer Ge- und Befangenheit, der Weg im Bestreben nach Höherem (der in "Et In Arcadia Ego" letztendlich im Fluss des Vergessens endet). Philosophisch und tiefenpsychologisch sind die Texte, dennoch heben sie nicht den Zeigefinger oder stürzen einen in abgrundtiefe Depressionen. Nein, sie regen zum Nachdenken an, mit einem schalkhaften Lächeln auf dem Gesicht.
Noch nie habe ich mich so ausführlich über Songtexte ausgelassen, aber um Entfremdet in der vollen musikalischen und poetischen Bandbreite zu erfassen, sind sie essentiell.
Leider gibt es auf der Scheibe auch noch einen großen, bitteren Wermutstropfen: die Cleanvocals! Zum Glück nur in einigen Stücken zu finden, mindern sie doch das Hörerlebnis deutlich. Dachte ich mit beim ersten Hören noch: "Warum lasst ihr die nicht einfach weg?" erschloss sich mir deren Sinn beim Mitlesen der Texte doch. Allerdings macht es die Qualität des "reines Gesangs" keinen Deut besser. Genäselt und aus der Kehle gepresst würde der Stil eher zum Musikantenstadl passen denn zu einem musikalischen Erguss dieser Kategorie. Meine Empfehlung an den Hörer: Weghören! Meine Empfehlung an den Sänger: die Stimme hat mit der richtigen Technik Potenzial, also mal schleunigst einen fähigen Gesangslehrer aufsuchen!
Aber abgesehen von diesem offen hörbaren Manko gibt es bis auf ein paar wenige technische Unreinheiten nichts zu bemängeln. Gerade "Gewissheit:" und "Et In Arcadia Ego" sind Spitzenstücke, die jeder Schwarzmetaller, so er etwas auf sich hält, kennen sollte.
Mein Tipp: Nebelkrähe bei nächster Gelegenheit live erleben (da rocken die Kerls eh das Blaue vom Himmel), Entfremdet für läppische 10 Euro zulegen, einlegen, zuhören und Texte mitlesen!
Tarnele
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