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Disillusion - Gloria

Disillusion - Gloria
Stil: Progressive Metal
VÖ: 23. Oktober 2006
Zeit: 51:12
Label: Metal Blade
Homepage: www.disillusion.de

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Da steh ich nun ich armer Tropf,
hab nichts als schräge Töne mehr im Kopf.
Weiß nicht, was ich von dieser CD halten soll -
ist sie nun grottenschlecht oder einfach nur toll?

Das ist wahrlich ganz schön harter Tobak, den die Leipziger Disillusion mit ihrem Zweitling auf die Menschheit loslassen. Harter Tobak, der für eine objektive Betrachtung zwei Dinge als essentiell wichtig voraussetzt:
1. Vergesst, was die Band mit Back To Times Of Splendor abgeliefert hat. Verdrängt aus eurem Geist, dass das Debüt ein bahnbrechendes Meisterwerk im progressiven Death Metal Bereich darstellt und zu den besten Alben aller Zeiten zählt.
2. Legt alle Scheuklappen ab, die ihr mit euch herumtragt. Seid offen für neue Einflüsse und gesteht den Musikern Selbiges zu. Reagiert nicht mit Ablehnung auf ein völlig unerwartetes Klangerlebnis und gebt Veränderungen eine Chance.

Ich muss zugeben, dass es mir schwer fällt die oben genannten Ratschläge selbst zu beherzigen. Nicht umsonst ist mir beim erstmaligen Hören der CD die Kinnlade auf Kniehöhe geklappt und nicht umsonst habe ich immer noch Schwierigkeiten mit dem neuen Material klar zu kommen, denn Disillusion haben sich gewandelt. Disillusion haben sich gravierend gewandelt.

Von den epischen und bewegen Liedern des Vorgängeralbums sind nur noch rudimentäre Spurenelemente vorhanden. Im Gegenzug wurde der Anteil elektronischer Elemente jeglicher Couleur massiv in die Höhe geschraubt, was auch gleich mit den ersten Tönen deutlich wird. Ein bedrohlich wirkendes, an alte (Horror-)Thriller erinnerndes Intro leitet den Opener "The Black Sea" ein und entlädt sich in einem furiosen, aber sehr kurzen Riffinferno. Danach bewegt sich der Song in einem recht gemäßigten Tempo durch seine knapp fünf Minuten und zeichnet sich durch verzerrten Sprechgesang und einen melodischen Refrain, der sich vor allem Dank der weiblichen Vocals in die Gehörgänge gräbt, aus. Alles in Allem ein guter, wenn auch unerwartet ruhiger Beginn, der klar macht, dass Disillusion deutlich elektronischer agieren als bisher. Das folgende "Dread It" beginnt mit einem unruhig wirkenden Riff, welches sich wie ein roter Faden durch den gesamten Song zieht und über einen starken Wiedererkennungswert verfügt. Erneut praktiziert das Trio hier das Zusammenspiel zwischen sehr ruhig vorgetragenen Strophen, elektronischen Spielereien sowie einem majestätischen Refrain, bei dem Vurtox durch seine facettenreiche Stimme besticht und der erstmals leichte Parallelen zu Back To Times Of Splendor aufzeigt.

Das entspannte Lächeln im Gesicht des Rezensenten verschwindet bei "Don't Go Any Further" allerdings schlagartig. Ein gedämpftes, überlanges, gesprochenes Intro leitet das Unheil ein. Dieses nimmt, untermalt von tanzbaren Beats, überladen mit nervigen Samples und einem mehr als einfallslosen Riff seinen Lauf. Die Spoken Word Passagen ziehen sich durch den gesamten Song und der Refrain wird gebetsmühlenartig wiederholt. "Don't Go Any Further" hat zweifelsfrei das Potenzial, ein Hit in den angesagten Tanztempeln dieser Welt zu werden, mir geht dieses genauso langweilige wie überflüssige Stück ebenso zweifelsfrei rasend schnell auf die Klöten. Gleiches gilt für "Avalanche". Lässt das Black Metal artige Anfangsgeschrabbel noch aufhorchen, zerstört das unmittelbar darauf einsetzende Tongezupfe den zarten Keim der Hoffnung sofort wieder. Dass Vurtox eine einmalige Stimme hat und damit schier jedes Gefühl ausdrücken kann, hat man mittlerweile eh schon vergessen. Emotionen und Gefühle gehen im ständig wiederkehrenden dumpfen Sprechgesang unter wie der Skifahrer in der Lawine und von Dynamik sowie einfallsreicher Melodieführung wollen wir hier mal lieber gar nicht erst reden. Auch in den Strophen des folgenden Titeltracks finden sich eine Vielzahl an EBM-Elementen wieder, was hier allerdings durch den übermächtigen Frauengesang in den Chören und die treibenden Gitarren in den Refrains und Zwischenspielen wettgemacht werden kann und nicht allzu negativ ins Bild fällt. Ebenfalls erwähnenswert: der akustische Zwischenteil mit seinen progressiven Verspieltheiten.

Das Instrumental "Aerophobic" läutet die zweite Hälfte ein. Dominiert von elektronischen Beats fühlt man sich an die Vielzahl mittelmäßiger Sci-Fi Serien der 90er erinnert. Ähnlich wie beim später folgenden zweiten Instrumental "Lava", welches die wabernden Synthie-Melodien mit einem verzerrten Basslauf unterlegt, sucht man lange Zeit vergeblich nach dem Sinn des Stückes. Zwischen diesen beiden Fragezeichen geht es dafür deutlich heftiger zur Sache. "The Hole We Are In" und "Save The Past" können, ganz im Gegensatz zum bisher Gehörten, überzeugen. Düster und schleppend, mit Stakkatoriffing und einer flott rockenden Hookline versehen, bauen beide Songs eine bedrohliche Stimmung auf, die sich in eingängigen und einprägsamen Refrains entlädt. Ganz klar die bisherigen Höhepunkte der Scheibe, die nur noch durch "Too Many Broken Cease Fires" überboten werden. Wütend, mitreißend, emotional dicht, mit fetten Gitarrenwänden ist dieser Song das eindeutige Highlight auf Gloria und lässt Erinnerungen an "Alone I Stand In Fire" aufkommen. Genial! Bei diesem Trio fallen auch die elektronischen Elemente nicht negativ auf. Diese verstärken das intensive Gefühl der Songs eher noch. Das Finale, die Ballade "Untiefen", ist ebenso außergewöhnlich wie gewöhnungsbedürftig, passt sich somit den Großteil der Albumtracks an und hinterlässt nach Verklingen des letzten Tons eine traurige und ungewisse Stimmung.

Ungewiss ist auch, was man von Gloria letztlich halten soll. Der allgegenwärtige Sprechgesang zehrt an den Nerven, die übermächtigen elektronischen Elemente drängen die Gitarren oft in den Hintergrund, richtig mitreißen können nur wenige Titel. Dafür ist das Dargebotene einfach zu gewöhnungsbedürftig, zu untypisch und hinterlässt beim Hörer zu häufig einen fragenden, verwirrten, teils auch unwilligen Gesichtsausdruck.

Nur eines kann ich mit Gewissheit sagen: Disillusion, wie ich sie kannte, sind nicht mehr. Und um auf die eingangs gestellte Frage zu antworten: ich weiß es nicht! Ich kann nicht sagen ob mir das, was hier präsentiert wird, gefällt bzw. jemals wirklich gefallen kann. Weiterentwicklung, Kompromisslosigkeit, das Sprengen stilistischer Grenzen schön und gut - allerdings blieb das, was Disillusion bis heute ausgemacht hat irgendwo zwischen diesen Schlagworten weitestgehend auf der Strecke. Die Zeit wird zeigen, ob die Band den richtigen Schritt gemacht hat. Entscheidet selbst...

JR

3 von 6 Punkten

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