Konzert-Bericht
Within Temptation & Anneke Van Giersbergen
Zenith, München 24.11.2011
Lange mussten wir warten, um genauer zu sein mehr als ein halbes Jahr - denn eigentlich war dieser denkwürdige Abend ja eigentlich für den 20.03. vorgesehen. Aber nachdem es sich mit Kleinkind im Anmarsch offenkundig schlecht reist und singt, wurde der verschiebbare von den beiden Terminen (also die Konzertansetzung) mal schnell acht Monate weiter nach hinten platziert (passt ja auch so ungefähr), und somit kamen wir erst jetzt in den Genuss der Darbietung der geschätzten holländischen Kollegen.
Offenkundig erreichen Within Temptation mittlerweile wirklich weitere Kreise, denn nicht nur Termin, sondern auch der Austragungsort wurde aufgrund der großen Nachfrage von der ursprünglich geplanten Tonhalle ins doch geräumigere Zenith verlegt, obwohl dort nach fachkundiger Einschätzung ausgewiesener Experten doch nur allzu schwerlich ein guter Sound zu mixen ist.
Das weite Rund ist zwar nicht so ausverkauft wie das diverse hingepappte Zettel glauben machen wollen, aber dennoch ist es im vorderen Drittel schon lauschig, als der Supporttross anrückt. Und dieses Mal ist eine alte Weisheit (Vorgruppen braucht niemand) außer Kraft gesetzt, den auf die Bühne stolziert niemand anders als die zauberhafte Anneke van Giersbergen, ihres Zeichens ehemalige Fronterin der Gothic-Pioniere The Gathering und auf der grandiosen Within Temptation-DVD Black Symphony Duettpartnerin für Sharon den Adel. Somit dürfen wir ja wohl auf "Somewhere" in ähnlicher Darbietung hoffen. Eine Parallele zur DVD gibt's allerdings sofort zu bestaunen: die gut durchblondierte Anneke tritt in einem Beinkleid an, das mindestens genauso kurz wie das bei der Black Symphony-Aufzeichnung getragene. Aber hossa meine Freunde. In gesanglich absolut herausragender Manier führt die ebenso zierliche wie tätowierte Dame durch ein gut dreißigminütiges Programm, in dem sie Stücke ihrer Solokarriere und des neuen Albums Everything Is Changing ("Fury", "Feel Alive") mit The Gathering-Klassikern wie "Saturnine" kombiniert. Der sehr melodische Rock/Metal-Sound passt bestens zur kommenden Attraktion, und die tighte Band tut ihr Übriges zur gelungenen Wirkung. Fein!
Aber jetzt wird die Bühne erst mal freigeräumt, wir entdecken ein massives Backdrop, auf dem das Logo des nach wie vor aktuellen Within Temptation-Werkes The Unforgiving prangt, und ein interessantes Arrangement, in dem Keyboard und Schlagzeug auf jeweils gegenüberliegenden Bühnenseiten erhöht platziert sind. Fragt man sich noch, ob denn das düstere Werk um verdammte Seelen in Gänze dargeboten wird, erschließt sich mit Beginn plötzlich der Sinn des Bühnenaufbaus: das Logo öffnet sich und enthüllt eine massive Leinwand, auf der als Intro der bislang auf der Website zu bestaunende Mother Maiden-Kurzfilm zu bestaunen ist. Kurz erklärt uns der finstere Hauptcharakter noch, was es mit den Unforgiving auf sich hat (verlorene Seelen bekommen eine zweite Chance, indem sie Jagd auf Mörder und sonstige Schurken machen), und dann steigen sie mit "Shot In The Dark" selbstverständlich mit dem Opener des Albums ein. Das Ganze ist eine Multimedia-Show, instrumental wie immer unschlagbar, durchgängig multimedial inszeniert und vor allem - der eingangs erwähnte einschlägige Experte horche auf - versehen mit einem glasklaren Sound, der auch durch wohldosierte Lautstärke überzeugt. Ja, und zu den wichtigen Dingen: Sharon ist da, zunächst noch im dunklen Jäckchen, aber leider nicht im rauschenden Ballkleid wie sonst immer (das Jäckchen wird alsbald abgelegt, aber teilweise von mir nicht allzu fern Umstehenden geäußerte Erwartungshaltungen, die Dame mache sich jetzt wohl alsbald nackig, wurden natürlich nicht erfüllt. Wo kämen wir denn da auch hin also wirklich). Aber das ist auch schon das einzige Manko, denn stimmlich zeigt sich Frau den Adel gewohnt auf der Höhe. Hier trifft das Bild vom ganz großen Kino somit absolut ins Schwarze. Zur Sache geht's dann beim schnellen und ruppigen "In The Middle Of The Night" - Unforgiving die Zweite, Sharon verdingt sich im Headbangen, na jetzt aber. Und weiter mit Gusto zum Single-Hit "Faster", der wieder klar 80er-Vibes atmet, aber das ist wurscht: das ist einfach nur noch genial heute. Beim folgenden "Fire And Ice" (hm, das lässt sich wirklich an wie Unforgiving komplett) stolziert dann tatsächlich Frau van Giersbergen ins Geschehen und beweist einmal mehr, wie wunderbar ihre tiefere Stimme mit Sharons Tonlage harmoniert. Alle Kollegen, die meinen, live seien gesangliche Schnitzer erlaubt und Höchstleistungen eh nicht zu erwarten: hier hinschauen und staunen. Aber, aber, was ist denn das? Kennen wir das? Ja, es ist sie, die unvergleichliche, die wir doch erst ganz zum Schluss erwartet hatten: ein weiteres Mal brillieren sie bei der epischen, atmosphärischen "Ice Queen", das ist einfach immer wieder unfassbar, und mir läuft's trotz aller Hitze in der Halle kalt runter.
Ab jetzt kredenzt uns Sharon, die sich wie stets äußerst höflich zeigt ("super!" "klasse!"), einen Querschnitt durch das weitere Schaffen, wobei das begnadete The Heart Of Everything nach meinem bescheidenen Geschmack leider etwas zu kurz kommt: vertreten sind "Our Solemn Hour", "What Have You Done" (mit Video-Einspielung der Vocals von Keith Kaputnik Caputpo) und "Hand Of Sorrow", auf den Titeltrack und das geniale "The Howling" ist leider Verzicht zu leisten. Aber mal egal, der wiederum von einem Kurzfilm angekündigte Dancefloor-Stampfer "Sinead" entschädigt mit Sharon im glitzerischen Jäckchen und dichter Atmosphäre. Die ersten veritablen Hits, den sie beim Pro 7-Publikum landen konnten - also "Stand My Ground", "See Who I Am" und "Angels" von The Silent Force - dürfen natürlich nicht fehlen und machen live nach wie vor Freude. Irgendwann erzählt Sharon auch etwas unverständliches von "Radio Antenne Bayern" - gottlob ist nicht klar zu entnehmen was sie sagt, wobei der eine oder andere angereiste Sympathisant vermeint gehört zu haben "they helped a lot", was natürlich mal so gar nicht sein kann. Das wär' ja noch schöner.
Trotz der Griffe in die Historie ist das Unforgiving-Material wie "Iron" oder "Where Is The Edge" (genial!!) heute einfach unschlagbar. Na fast. Denn als die gute Sharon und ihre Freunde als zweite Zugabe zum Klassiker "Mother Earth" (incl. unnachahmlicher Ausdruckstanz) ansetzen, zeigt sich, dass die Frühphase mit den etwas sperrigeren, heftigeren und gothischeren Nummern absolut zu Recht den Ruf der Band begründete. Den Abschluss liefert dann - natürlich - "Stairway To The Skies", und meine Endlosdiskussion mit durchaus ebenfalls Geneigten, ob das denn nun gut oder schlecht ausgehe, klärt auch das eingespielte Filmchen nicht. Ist vielleicht auch besser so, so kann jeder weiter Recht haben. Offiziell wenigstens.
Danach ist leider viel zu schnell Schluss, die Zeit ist im Fluge vergangenen, und der Merchandise-Stand wird regelrecht gestürmt, denn dort gibt es nicht nur die vier bislang erschienen Unforgiving-Comics zu erwerben, sondern dort sitzt auch Anneke van Giersbergen und signiert geduldig CDs.
Fazit: außer der nicht ganz erreichten, aber wohl auch nicht unbedingt realistischen Wunsch-Spieldauer von drei Stunden gibt es nichts zu bemängeln - außer vielleicht, dass trotz der anwesenden Anneke das göttliche "Somewhere" nicht an die Reihe kam. Aber, wie der Mann sagt, man kann nicht alles haben.
Setlist Within Temptation:
Mother Maiden (Kurzfilm)
Shot In The Dark
In The Middle Of The Night
Faster
Fire And Ice (mit Anneke van Giersbergen)
Ice Queen
Hand Of Sorrow
Our Solemn Hour
Stand My Ground
Sinead (Kurzfilm)
Sinead
What Have You Done
Iron
Angels
Where Is the Edge
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See Who I Am
Mother Earth
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Stairway To The Skies