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Konzert-Bericht

Kim Wilde

Muffathalle, München 24.03.2009

Ja ja, da muss ich schon was dazu sagen. Ist er jetzt ganz verrückt geworden, der Alte, als nächstes bringt er uns den Florian Silbereisen oder was. Kim Smith, genannt Wilde? Ehrlich? Nein Freunde, so ist das ganz und gar nicht. Dieses auf den ersten Blick abseitige Interessensgebiet ist allen klar, die im Jahr 1981 aus dem kleinen Kofferradio einen Schlager der Woche (einige erinnern sich) von einer jungen Dame dröhnen hörten, bei dem es um die Kinder in den vereinigten Staaten ging. Das wussten wir damals natürlich nicht, wer oder was Kids sind, aber das war wurscht, hier ging es mit feschen Gitarren geradeaus, hier war Intensität, enorme Ohrwurmqualität und vor allem eine Sängerin, die jahrelang per Starschnitt an allen Zimmerwänden klebte. Und soll mir mal keiner sagen, er hätte da nicht mitgemacht. Über Umwege kam man an das erste Album, überspielte Kassetten waren das zu der Zeit, und da stellte sich heraus, dass dies durchaus keine Eintagsfliege war: ein sauberes Rock-Album mit schmissigen Nummern, die bis heute nicht totzukriegen sind.

Über die Jahre blieb man der Dame dann mehr oder weniger treu, beobachtete das immer weitere Abdriften in Pop-Gefilde, wobei auch dabei immer wieder Jahrhundertnummern heraussprangen, bei denen es um zum Beispiel um Kambodscha oder Das zweite Mal (dass das wörtlich gemeint war, haben wir gestern erfahren) ging. So, und wenn sich da die Möglichkeit bietet, das Ganze auch mal leibhaftig zu erleben, dann sollte man sich das nicht entgehen lassen, auch wenn zwischenzeitliche Auftritte in diversen Shows schon gezeigt haben, dass die Zeit natürlich auch nicht an der guten Kim vorbeigeht.

Die bange Frage bei solchen Aktionen lautet natürlich - gibt es eine traurige, gelangweilte Playback-Party, bei denen einige wenige Schlachtenbummler berieselt werden (so oder so ähnlich lief es leider bei der letzten Blondie-Tour, bei der Debbie Harry so gar keine Lust hatte). Oder darf man auf ein beherztes Herunterreißen der alten Kracher vor vollem Hause hoffen? Nun, schauen wir.

Zunächst ist festzustellen, dass offenkundig nicht Wenige die Chance nicht verpassen wollen, schon beim Erscheinen der Spezialgäste ist die Halle recht ordentlich gefüllt. Die Rolle des Vorturners fällt John Harrison zu, einem Schotten, der recht ordentlichen Rick Springfield-Sound zaubert. Bei Nummern wie "Ordinary Girl", "Shooting Arrows" und "Don't Give Up" zeigt der Cheffe gute Vokalqualitäten, und seine Kombo, die durchweg aus Kollegen besteht, die bis vor kurzem in England noch zu jung für einen Pub-Besuch gewesen wären, macht die Sache sehr vernünftig.

Nach zwanzig Minuten ist aber gut, und jetzt wird's spannend. Öde oder Wilde, das ist hier die Frage. Als auf der Videoleinwand ein fescher Adler mit dem Schriftzug "Family" auftaucht und das Licht ausgeht, genügt es denn auch mit der Pop-Berieselung aus den Boxen. Plötzlich springt eine gar wilde Kohorte auf die Bühne, bestehend aus zwei Herren in Schwarz mit weißem Schlips (die Uniform auf der ersten Platte), einem weitern Herren (?) im schicken Lederrock, komplett mit blonden Gretel-Zöpfen und überdimensionierten Kopfhörern, und einem Gitarrero, der aussieht wie eine Mischung aus Kerry King und dem King Of Queens. Also, das ist schon mal kein Playback, und ernst meinen sie's wohl auch, da sie als Opener mit "Never Trust A Stranger" einen Song der späteren Disco-Phase so laut und heftig herausbrettern, dass es nur so raucht. Optisch verweilen mag man zunächst bei einer Fee im roten Cocktail-Kleid, Beinen bis in den Himmel und einer durchaus mächtigen Stimme. Später mehr zu ihr, denn jetzt kommt sie, die Kim.
Ja, natürlich ist sie älter geworden, und im Vergleich zu Hungerhaken wie Madonna und Konsorten ist das natürlich eine eher praxisorientierte Figur, so körperlich und so. Aber das macht nix, sie ist da, und sie hat Spaß, das merkt man vom ersten Moment an. Dass hier gerockt wird, zeigt nicht zuletzt die fesche Lederjacke, die nix mit irgendwelchen Fummeln zu tun hat, die die Damen bei Formel Eins (die Musiksendung, nicht die Raserei) zur Schau stellten. Die ganz hohen Töne überlässt sie der Elfe in rot, aber das macht gar nichts, denn die macht (nicht nur) das ganz hervorragend. Der Kerry King-Mähn greift in die Saiten, als ob er sich für den Headliner beim nächsten Wacken bewerben wolle, und der Basser im Rock gibt Gas, dass die Zöpfchen wackeln.
Weiter im Text mit dem noch relativ neuen "Natural Girl", und es wird immer klarer: nix Langeweile, nix Lahmhinterigkeit, vielmehr erstrahlen die Nummern in bester wiederentdeckter rockiger Manier. Mit "View From A Bridge" gibt's einen weiteren Kracher, der deutlich heftiger rüberkommt als die Studiofassung, bevor sich die gute Kim mal ein wenig Zeit für uns nimmt. Der erste Termin der Tournee sei das, man freue sich, "but we didn't expect the snow" - wir auch nicht, keine Angst. Und jetzt wird sie sogar frech: "Here's a fruity song - called The Second Time". Feeling a little fruity, so was, aber wir nehmens gerne mit. Das in Rede stehende Stück musste mit der Mörder-Bass-Linie seinerzeit immer für einen Test herhalten, wie stabil die Scheiben meines Zimmerchens waren (sie haben's immer ausgehalten). So wie sie das hier herunterreißen, wäre das allerdings ein knapper Ausgang gewesen. Der Basser zupft und haut glorios, und Kerry befeuert das Ganze mit Riffing, als ob alles zu spät wäre. Da man dank des hervorragenden Sounds den Text auch noch versteht, ergeben sich durchaus eindeutige Tendenzen, die man früher nur vermuten konnte (Gott sei Dank konnten wir da noch kein gscheites Englisch, uns wäre ja der Kopf weggeflogen, wenn wir das alles verstanden hätten). In dem Sinne geht es auch weiter, als die Showmasterin ihre Lederjacke ablegt und auf die üblichen folgenden Rufe ironisch kontert: "Oh, you wouldn't want that. It gets scary after that layer. Very scary." Ja, Freunde, so was ist zehnmal besser als jede Dohle, die versucht, mit 40 noch wie 20 auszusehen. Und außerdem haben wir den Augenschmaus ja auch im Gepäck. Wer das ist, erfahren wir jetzt übrigens auch endlich: es ist Kims Nichte Scarlet, passend gekleidet somit. "Naughty, but niece", wird sie eingeführt, und besser kann man das nicht beschreiben. Legst di nieder.
Voran schreiten wir mit "Love Blonde" und dem genialen "Another Step", bevor sich auch das Geheimnis um den King Of Queens löst: "I'm very pleased to have my brother with me - he wrote all my wonderful tunes, say hello to Ricky Wilde!" Ja, man mag ja unsinnig werden. Das ist also doch tatsächlich ihr Songschreiber, Produzent und zumindest auf den frühen Platten mitmusizierender Bruder! Dass der Kollege Spaß am Rocken hat, überrascht wenig, immerhin ist er für den Sound verantwortlich, der die ersten Alben zierte. Nach der feinen Ballade "Four Letter Word" kündigt eine - wohl auch ob der hervorragenden Stimmung unter den Angereisten - immer besser gelaunte Mrs Wilde nun auch direkt "a little rrrock and rrroll" an, und was sie aus dem jetzt folgenden "Chequered Love" (das war seinerzeit die zweite Single) herausholen, ist schon bemerkenswert und lässt den Tanzboden zittern. Großes Kino! Sogar die Version eines 80er-Nena-Heulers in Form von "Anyplace, Anywhere, Anytime" macht so Freude. Bald folgt nun der wohl zweitbeste Song der Dame, der schlichtweg mit "Here's a song called Cambodia" angekündigt wird. Ursprünglich rein elektronisch, lässt sich der gute Ricky auch hier nicht lumpen und steuert zum ohnehin starken Song energische Gitarrenarbeit bei. Bei nun folgenden Vorstellung der Band fällt das letzte große Fragezeichen: die Bass-Gretel ist niemand anderes als Nick Beggs, der in den 80ern mit Kajagoogoo diverse Unsäglichkeiten verbrach, aber offenkundig sein Handwerk versteht und nicht von den Zöpfchen lassen will. Der Rock? Das lassen wir mal offen.
Nach einem neuen Stück "Loving You More Than You Know", das in akustischem Gewand daherkommt und nebenbei die beste Gesangsleistung des Abends bietet, gibt es dann eine weitere Coverversion: wir dürfen uns "Respect" von Erasure antun - der einzige verzichtbare Teil an der ganzen Chose. Nach "You Came" und dem nach wie vor sehr feinen "You Keep Me Hanging On" ist erst mal Schicht, aber jeder weiß, dass hier noch was fehlt.
Die Rückkunft auf die Bühne lässt nicht lange auf sich warten, aber erst gibt es mal etwas, was die Dame selbst als "a very complicated song" bezeichnet - und zwar nichts anderes als ein auf Französisch vorgetragenes "Ça Plane Pour Moi" des 70er-Stakkato-Künstlers Plastic Bertrand (Erfinder der gleichnamigen Tragetüte), das wir in Deutschland unter dem Titel "Bin Wieder Frei" untergejubelt bekamen, von einem gewissen Benny Schnier. Krachig, mehr kann man nicht sagen, auch die gute Scarlet - die wollen wir ja mal nicht vergessen - gibt spätestens jetzt Vollgas. Aber jetzt ist mal gut, jetzt gibt's kein Entrinnen mehr, und die unweigerlichen "Kids In America" werden auf der Bühne und im Publikum abgefeiert, dass es nur so eine helle Freude ist.
Dann ist nach 90 bestens gefüllten Minuten wirklich Aus, und es bleibt nur ein Fazit: Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern bei weitem übertroffen. So gut, so zeitlos war Radiomusik mal. Und so mit Schmackes kann man das heute noch hinlegen, wenn mann/frau will. Wild, Freunde, einfach Wild. Ach ja, hab ich schon die Nichte erwähnt?

Setlist Kim Wilde:
Never Trust A Stranger
Perfect Girl
View From A Bridge
The Second Time
Love Blonde
Another Step
Four Letter Word
Chequered Love
Anyplace, Anywhere, Anytime
Love In A Natural Way
Love Is Holy
Cambodia
Loving You More Than You Know
Can't Get Enough Of Your Love
Respect
You Came
You Keep Me Hanging On
---
Ça Plane Pour Moi
Kids In America

Holgi

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