Konzert-Bericht
W.A.S.P. & V8 Wankers
Spectrum, Augsburg 16.12.2007
Gib's endlich zu, Blackie. Du bist aufmerksamer Leser unserer bescheidenen Seiten! Und Du hast Dir meine Kommentare zu Deinen letzten Live-Auftritten zu Herzen genommen. Ich zitiere: anlässlich des Bang Your Head-Gigs musste ich ins Stammbuch eintragen: "Fazit: gesagt hat er wieder nicht viel, Spaß hat es ihm wohl auch nicht gemacht. Aber wenn die alte Aggression aufblitzt, dieses Feuer, dann merkt man, wozu Blackie fähig wäre, wenn er Lust hätte." So, und das hat wohl irgendwie gewirkt, denn auf einer meiner Reisen in ferne Lande entdeckte ich jüngst ein feines Plakat, das von Großem kündete: "The Crimson Idol Tour 2007". Oha, denkt da der geneigte Langzeithörer, da war doch mal was - und das ist 15 Jahre her. Die Website bestätigt die Vermutung: zur Feier des fünfzehnjährigen Jubiläums seines unbestreitbar größten Wurfs will uns der zuletzt live so lustlose, so schablonenhaft agierende Meister also dieses Konzeptalbum komplett am Stück und ohne Ausnahme präsentieren. Das garantiert schon einmal eine erstklassige Setlist, die nicht nur aus alten Gassenhauern besteht. Außerdem soll das Ganze untermalt sein mit einem Film, der seinerzeit gedreht, aber nie verwendet wurde. Und dann soll es noch einen Zugabenteil mit "allen Hits" geben. Also, was soll ich lange sagen: das will ich ihm noch mal zugestehen, versuchen wir's halt noch mal zusammen. Netzdüsen an und losgeschwungen in Richtung Fuggerstadt.
Das Spectrum in Augsburg entpuppt sich für mich Erstbesucher als feiner Club (nebenbei mit besten, kostenlosen Parkmöglichkeiten), und als ich kurz nach acht einlaufe, haben sich schon einige Lokalhelden auf die Bühne geschmissen. Die haben ihren eigenen Fanclub dabei, der mächtig Alarm macht, Fahnen schwenkt und zum Schluss sogar noch abbauen hilft. Der beleibte Sänger liefert ordentlichen, hohen Gesang in Richtung Geoff Tate, die Mucke ist vernünftiger Sound zwischen Power Metal und Hard Rock. In der Zwischenzeit ein Blick ins Publikum - und es gibt sie wirklich noch, die Kuttenträger, die Girlies in Ratt- oder Poison-Shirts (!!) und sogar die Herren mit den knautschengen Steve Harris-Schwarz-Weiß-Streifen-Hosen. Nett und individuell das Shirt der "Augsbanger". So ungefähr 400-500 Nasen dürften in den Laden reinpassen, es gibt eine hübsche Empore, aber die PA ist für die Räumlichkeiten definitiv überdimensioniert. Da hilft nur die Flucht nach vorne, wo noch reichlich Platz ist.
Nach einer halben Stunde wandern die Kollegen zu guten Reaktionen ab und machen die Bühne frei für die V8 Wankers. Deren räudiger Rock'n'Roll, der eine Portion AC/DC mit einem massiven Einschlag Motörhead mischt und den sie selbst als High Speed Rock'n'Roll bezeichnen, glänzt zwar nicht mit künstlerischen Highlights, macht aber durchaus Spaß. Frontwutz Lutz Vegas gibt sich anfangs mit Hütchen eher a la Beatsteaks, wirft die Kopfbedeckung aber bald von sich und präsentiert ungeniert die tatöwierte Plautze. Überhaupt sehen die Jungs eher aus wie ein Paar New York-Hardcoreler als eine deutsche Schweinerock-Kombo, aber Nummern wie "Rock'n'Roll Dictator" oder "Demolition Man" würden eher Lemmy und den Schmökern als den Ami-Brüllwürfeln gefallen. Nachdem man sich per Handzeichen auf eine Zugabe verständigt hat - die mit "Wankers Without A Cause" auch gleich das beste Stück der Jungs an diesem Abend bietet - ist nach 40 Minuten wieder Ruhe im Karton. Gute Leistung, passt scho. Und über den Herkunftsort der Kombo, da sagen wir einfach: Alesia? Ich weiß nicht, wo Alesia liegt.
Die Umbaupause hält sich in Grenzen, nachdem das gesamte Equipment der nun folgenden Kapelle schon aufgebaut ist. Es braucht keinen "Yeah" und auch keinen Heinz, der stundenlang auf eine Trommel haut, um festzustellen, ob das wirklich einen Ton ergibt. Nach einer überschaubaren Wartezeit verfinstert sich um zehn vor elf die Umgebung, und auf der tatsächlich hinter dem Drumset aufgezogenen Leinwand erscheint das Cover zu jenem Werk, um das es heute gehen soll. Aus den Gesprächen der Umstehenden wird klar, dass so ca. die Hälfte nicht kapiert hat, was die Herren heute vorhaben, und so ist erst mal etwas Überraschung angesagt, als Blackie und seine Kumpane mit der "Titanic Overture" dann tatsächlich wie angekündigt einsteigen. Blackie himself ist im üblichen Outfit - W.A.S.P.-Shirt, Spandexhose, Stiefel, Raiders-Gitarre, Lidschatten bis zum Abwinken - und sieht auf so kurze Distanz mit seinen gefühlten 2,50 Meter Höhe immer noch recht imposant aus.
Die Kollegen sind wie immer nur Statistiker, es geht um den Chef, und der macht nicht viel Federlesens, blinkt finster in die Runde und leitet sofort zum ersten Idol-Stück "The Invisible Boy" über. Der Sound ist gut, musikalisch alles im grünen Bereich, Blackie ist für seine Verhältnisse sehr konzentriert und engagiert (das übliche Gehampel und Pseudo-Geschreie in die Menge fällt komplett weg) und zeigt, dass ihm das Material wirklich wichtig ist. Sobald er keinen Gesangspart hat, gibt er den Blick auf die Videoleinwand frei, und das ist auch gut so: der Film wurde offenbar tatsächlich eigens für das Album durchaus aufwändig gedreht, denn das Geschehen auf der Leinwand illustriert sehr genau die Story, die auch die Songs erzählen - und dass da jede Menge Blackie selbst drinsteckt, das dürfte ja kein Geheimnis sein.
Mittlerweile muss ich meine Vorbehalte leider komplett aufgeben und darf mich auf der anderen Seite bestätigt sehen: Blackie zeigt endlich mal wieder, was er draufhat, wenn er will. Es wird sehr klar, dass ihm die ewigen Greatest Hits-Shows auf die Nerven gehen und ihm seine Crimson Idol-Songs eine echte Herzensangelegenheit sind (kleiner Tipp - dann spiel halt nicht dauernd nur die Greatest Hits...). Berauschend kommt dann die "Arena Of Pleasure" daher, das ist tight, das reißt, das klingt keine Sekunde angestaubt oder gar eineinhalb Dekaden her. Kein Zweifel, das ist seine Sternstunde, das ist eines der besten Metal-Alben der 90er. Auch wenn man die Stücke schon längere Zeit nicht mehr gehört hat, zünden die Songs sofort wieder und beweisen ihren Klassiker-Status.
Der "Chainsaw Charlie", den Blackie sehr unmissverständlich auf seinen damaligen Plattenlabelboss münzte, was im Film sehr klar zum Ausdruck kommt, brettert nicht ganz so kompakt, aber doch mitreißend rüber. Auch wenn die beiden Bass- und Gitarren-Hanseln so tun als ob, singen sie natürlich keinen Ton, die Chöre kommen live vom Band, aber das macht nix - der Meister selbst ist gut drauf. Die ersten ruhigeren Momente mit "The Gypsy Meets The Boy" absolviert Blackie souverän, um mit "Dr. Rockter" dann stimmungsmäßig massiv einen draufzusetzen. Jetzt dürfte der Letzte kapiert haben, dass wir die Scheibe heute in ihrer Gesamtheit erleben, und wer jetzt immer noch nach "I Wanna Be Somebody" plärrt, dem ist nicht mehr zu helfen. Ohne jeden Zwischenkommentar geht es weiter im Takt, und die Stücke von der zweiten Seite der Langspielplatte wirken wie auch auf der Studiofassung immer noch sehr gut, kommen aber an die Qualität der ersten Songs nicht ganz heran. So schwingt man sich durch die feine Ballade "Hold On To My Heart", bei der Blackie stimmlich dann doch an seine Grenzen stößt, bevor mit "The Great Misconceptions Of Me" das grande finale eingeläutet wird, das man teilweise ja auch schon auf dem Bang Your Head zum Besten gab. Aber anstelle endlosen Gegniedels gibt es auch diese Nummer exaktamente wie auf der Platte - so muss es sein!! Das Filmchen zeigt schließlich, dass der Antiheld Jonathan sich am Ende tatsächlich an den Saiten seiner Gitarre aufknüpft - bezeichnenderweise genau die B.C. Rich-Klampfe, die Blackie zu dieser Zeit spielte.
Und jetzt, tatsächlich - er sitzt und spricht! "Thank you guys, we'll take some minutes and then we'll be back". Und kann es sein, dass ihm sogar ein Lächeln entspringt? Ja, unzweifelhaft hat ihm dieses Set Freude gemacht, obwohl es im Publikum einige Verwirrte gibt, die immer noch nicht verstanden haben was da gerade abgelaufen ist. Kein Gebrabbel, kein Gitarrensolo, kein Drumsolo, nur das beste W.A.S.P.-Album aller Zeiten am Stück und mit Schmackes. So richtig schief gehen kann da gar nix mehr. Als sie dann tatsächlich sehr pünktlich wieder hervorhüpfen, wird dann die Party-Fraktion halt auch noch bedient: "L.O.V.E. Machine" und "Wild Child" liefern den typischen Gassenhauer-Stoff. Bemerkenswert ist allerdings der Unterschied in der Bühnenaction: war man bei The Crimson Idol noch konzentriert, fast andächtig und sehr ruhig bei der Sache, geben die Herren jetzt wieder ihr offenbar gut einstudiertes Bühnenrowdytum zum Besten. Blackie hüpft von rechts nach links, feuert Blicke in die Menge und tut ständig so, als ob er irgendwas schreit. Die anderen Gestalten machen genauso einen auf wilden Mann. Dass einem das als Musiker mit der Zeit auf den Senkel geht, verstehe ich ja, aber es sagt doch keiner, dass er das so tun muss? Na, mit "Take Me Up" gibt es dann noch eine feine Nummer vom starken neuen Album Dominator, bevor das obligatorische "Blind In Texas" den Abend beschließt. Dankenswerterweise mit sehr kurzem Mitsingteil. Und dann gilt: bin scho wieder weg.
Ja, was soll man da sagen? Blackie hat mit The Crimson Idol Ernst gemacht und nicht den Hampelmann gegeben, zu dem er sich selbst stilisiert hat. Irgendwie hat er uns wohl übelgenommen, das sein zweites Konzeptwerk The Neon God nicht annähernd so gut aufgenommen wurde, und zieht seitdem sein Ding stur durch. Aber heute abend hat er gezeigt, dass er - wenn er nur wollte - nach wie vor ganz großes Breitwandkino liefern kann. Überleg's Dir doch einfach mal. Und nachdem ja kein Mensch irgendwelche Fotos machen durfte, sollte man auf die DVD nicht lange warten.
Setlist W.A.S.P.
The Titanic Overture
The Invisible Boy
Arena Of Pleasure
Chainsaw Charlie
The Gypsy Meets The Boy
Doctor Rockter
I Am One
The Idol
Hold On To My Heart
The Great Misconceptions Of Me
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L.O.V.E. Machine
Wild Child
Take Me Up
Blind In Texas