Interview
English VersionInterview mit Sear Bliss (31.10.2007)
Sear Bliss - zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich, bevor ich die aktuelle Scheibe The Arcane Oyssey zum Review in den Händen hielt, von den Ungarn noch nichts gehört hatte. Aber bei der Qualität des Silberlings wird es höchste Zeit sich mit den Jungs etwas näher zu beschäftigen. Also schrieb ich meine Fragen auf, und Zoltan Pal beantwortete mir diese ausführlich.
HH: Hallo Andras (ich nehme an, dass ich mit dir spreche, falls nicht: Hallo wer auch immer oder ihr alle), wie steht's so?
Zoltan: Hallo! Ich bin Zoltan Pal (der Posaunist) von Sear Bliss und werde deine Fragen beantworten, wenn es dich nicht stört.
Alles Bestens hier, wir haben eine brandneue Scheibe draußen und die Reaktionen sind unglaublich.
HH: Ihr habt gerade euer sechstes Album - The Arcane Odyssey - veröffentlicht. Seid ihr damit zufrieden oder würdet ihr irgendetwas anders machen, wenn ihr die Zeit zurück drehen könntet?
Zoltan: Das ist zweifelsohne das bislang beste Sear Bliss-Album. Es sind einige Monate vergangen, seitdem wir es fertiggestellt haben und wir sind immer noch sehr zufrieden damit. Wir sind sehr stolz auf die Songs und auch der Sound ist brillant. Ich glaube nicht, dass wir irgendetwas verändern würden. In ein paar Jahren könnte das anders aussehen, aber jetzt fühle ich nur absolute Zufriedenheit.
HH: Ihr wart für die Aufnahmen zu The Arcane Odyssey lange im Studio - was war die wichtigste Erfahrung, die wichtigste Erkenntnis (sofern es so was gab)?
Zoltan: Wir verwendeten dieses Mal eine andere Methode als bei den vorangegangenen Aufnahmen. Wir arbeiteten in drei Studios: Eins fürs Schlagzeug, eins für die Vocals und eins für den Rest. So haben wir noch nie gearbeitet. Studioarbeit ist immer etwas stressig, aber wir werden immer besser und auf seine Weise macht es auch Spaß. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie ein neues Album Form annimmt.
Wirklich verblüfft war ich, als wir die Folk-Elemente für "Path To The Motherland" aufnahmen. Diese Musiker zeigten solchen Enthusiasmus und Kreativität - das Ergebnis ist einfach hervorragend. Die Instrumente kannte ich meist nicht (auch wenn es vorwiegend Blasinstrumente waren), da einige selbst gebaut waren. Das war wirklich spannend.
HH: Was ist die Hauptintention hinter dem Album? Wie würdet ihr es beschreiben?
Zoltan: Es gibt keine eindeutige Intention des Albums. Wir wollen nicht für oder gegen etwas stehen. Wir spielen die Musik, die wir mögen und versuchen, unser Bestes zu geben.
Nun, es ist schwer, die eigene Musik zu beschreiben, aber ich habe einige Reviews gelesen, die es als epischen Pagan Black Metal bezeichneten. Diese Kategorie passt mehr oder weniger perfekt.
HH: Wovon handeln die Texte? (Anm.: leider konnte ich sie noch nicht lesen, da ich bis dato nur die Promo-Version der CD daheim habe)
Zoltan: Die Texte handeln hauptsächlich von spirituellen Themen, die weit entfernt von unserem alltäglichem Leben liegen. Andras schreibt "stream-of-consciousness"-Texte. Man muss sie lesen, während man die Musik hört. Es gibt kein einheitliches Konzept dahinter, jeder Text hat seine eigene Welt.
Der erste und der letzte Song auf The Arcane Odyssey bilden eine Ausnahme. Diese zwei sind mit dem Coverbild, die Legende der Straße der Krieger, verknüpft.
HH: Wer schrieb die Texte und wer komponierte die Stücke für The Arcane Odyssey?
Zoltan: Unser Sänger Andras schrieb alle Texte. Wir denken, es ist das Beste, wenn derjenige, der die Texte singt, diese auch schreibt.
Komponiert wurde auf eine für uns neue Art und Weise. Wir zeichneten unsere neuen Riffs und Ideen daheim auf dem Computer auf und schickten sie uns gegenseitig. Als wir also unsere ersten Proben hatten, hatten wir bereits fertige Songs, die bereits am PC zusammengesetzt wurden. Dadurch war das Arbeiten leichter, da wir in verschiedenen Teilen Ungarns wohnen. Natürlich veränderten sich die Stücke später stark, aber die Basis war geschaffen. Andras arbeitete wirklich viel für dieses Album. Er schrieb nicht nur die Texte, Keyboard und Bass-Passagen, sondern komponierte auch eine Menge Gitarrenriffs.
HH: Kannst du mir die auf dem Album auftretenden Einflüsse nennen?
Zoltan: Alles kann uns inspirieren. Ein Film, ein Buch, eine Lebenserfahrung - sowohl gute als auch schlechte. Aber wenn du von musikalischen Einflüssen sprichst, muss ich sagen, dass wir keiner Band in der Szene nacheifern. Wir haben unseren eigenen Stil und Sound und müssen uns nicht bei anderen Bands für Inspirationen umschauen.
HH: Was bedeutet der Titel The Arcane Odyssey?
Zoltan: Es geht um die Verborgene Reise und bezieht sich auf die Coverillustration.
HH: Welches ist dein Lieblingssong und warum?
Zoltan: Puh, das ist eine schwierige Frage. Ähnlich wie wenn eine Mutter ihr Lieblingskind auswählen sollte. Aber wenn ich müsste, würde ich den ersten Song nehmen: "Blood On The Milky Way". Er repräsentiert klar und deutlich, was Sear Bliss ausmacht. Schnelle und langsame Riffs, akustische und atmosphärische Teile, Killer-Soli und bombastische Blechbläser. Die Texte basieren auf der Coverillustration und es war der erste Titel, der für dieses Album geschrieben wurde.
HH: Ein paar Worte zum Cover? (Das - wiedereinmal - wirklich großartige Kunst ist!)
Zotan: Ja, wir haben wieder ein Gemälde verwendet. Wir sind diesbezüglich etwas old-school eingestellt und mögen Computergrafiken nicht wirklich. So wie beim letzten Album arbeiteten wir zusammen mit dem ungarischen Maler Jozsef Tari. Er ist ein wirkliches Genie. Er malte auch für Venom (The Wastelands).
Das Cover zeigt eine ungarische Legende, "die Straße der Krieger". Die Legende ist eine der Geschichten über den Ursprung der Milchstraße. Eine Kurzform kann im Booklet der CD nachgelesen werden, weswegen ich nun nicht näher darauf eingehe.
HH: In der Vergangenheit gab es bei euch einige Besetzungswechsel, aber in letzter Zeit weniger - habt Ihr nun, zumindest annähernd, ein stabiles Line-Up gefunden, mit dem ihr zufrieden seid?
Zoltan: Ja, es gab viele Besetzungswechsel. 14 Jahre sind eine geraume Zeitspanne, um eine Gruppe Leute zusammenzuhalten. Die Leute ändern sich sowie ihre Einstellung zu verschieden Dingen (unter anderem auch Musik). Die aktuelle Besetzung hat nun seit anderthalb Jahren Bestand. Ich kann behaupten, dass es ein festes Team ist mit Mitgliedern, die nicht nur Freunde sind, sondern sich auch gegenseitig sowohl persönlich wie musikalisch achten.
HH: Ihr seid jetzt bei Candlelight Records unter Vertrag. Seid ihr zufrieden mit der Zusammenarbeit?
Zoltan: Die Zusammenarbeit hat ja gerade erst begonnen, und ich kann nur sagen, dass ich sehr zufrieden damit bin. Candlelight ist das Label, welches wir brauchten - sie sind sehr professionell und engagieren sich begeistert für ihre Bands. Und natürlich ist es grandios, bei einem Label zu sein, dass auch z.B. mit Emperor, 1249, Crowbar usw. zusammen arbeitet. Wir sind sehr zufrieden, bei Candlelight zu sein.
HH: Soweit ich informiert bin hatten ihr in den letzten zwei Jahren keine Shows außerhalb Ungarns. Werdet ihr bald auf Tour gehen und auch in andere Länder (bis jetzt wart ihr ja hauptsächlich in Deutschland und den Niederlanden unterwegs)? (Anm. : wagt es ja nicht, München auszulassen!!!)
Zoltan: Wir hatten einige Gigs außerhalb Ungarns in den letzten paar Jahren. Ein paar in den Niederladen, Deutschland, Tschechien, Litauen und Rumänien. Und 2005 waren wir für zehn Auftritte mit Skyforger unterwegs.
Es wäre toll, wieder auf Tour zu gehen und wir werden das hoffentlich im kommenden Jahr tun. Wir würden unser neues Album gerne mit so vielen Auftritten wie möglich promoten. Und du hast recht, es gibt viele Länder, in denen wir noch nicht waren.
Was München betrifft, hat Sear Bliss dort noch nie gespielt, aber wenn wir die Gelegenheit bekommen, werden wir es tun.
HH: Sear Bliss wurde 1993 gegründet, wie würdest du die Entwicklung beschreiben?
Zoltan: Die Entwicklung kann man hören, wenn man die Alben chronologisch anhört. Ich denke, wir haben uns in jedem musikalischen Aspekt verbessert, auch wenn es einige schwächere Zeiten gab. Das kann man kaum verhindern, wenn man 14 Jahre lang Musik macht. Jede Band hat Hochs und Tiefs. Aber jetzt sind wir eindeutig ganz oben und wir haben viel Power. Wir können nicht aufgehalten werden.
HH: Erzähl mir ein wenig über die Anfänge von Sear Bliss, die Ideen und Ideale, die Zeit, Black Metal und die ungarische Metal-Szene zu dieser Zeit...
Zoltan: Als 1993 Sear Bliss gegründet wurde, war das Ziel der Band, ihr etwas Orginelles zu geben, etwas, dass sie von anderen Bands unterscheidet. Zu dieser Zeit gab es keine ungarische Black Metal Szene. Die großartigen Tormentor gab's nicht mehr und auch keine Nachfolger. Hier erschien Sear Bliss auf der Szene. Die erste Demo, The Pagan Winter, war ein großer Erfolg, es verkaufte sich gut und einige Label zeigten sich interessiert. Damals war es aber noch schwer, mit der europäischen Metalszene Schritt zu halten. Auch wenn die Situation viel besser als zur kommunistischen Ära war, war es dennoch schwierig, die neuesten Platten zu bekommen.
HH: Apropos Ungarn, es gibt nicht viele Band aus eurem Land, die hier bekannt sind - wie ist heutzutage die Metalszene dort?
Zoltan: Weißt du, Ungarn ist ein ziemlich kleines Land, und so ist die Metalszene auch klein. Aber ich muss dir sagen, dass die Ungarn eine der enthusiastischsten Nationen sind, was Metal betrifft. Zweifelsohne gibt es einige sehr gute Bands hier, aber unglücklicherweise ist es sehr schwer, den Durchbruch zu schaffen. Die Möglichkeiten sind viel geringer als in den westlichen Gebieten.
Als bekannteste ungarische Band muss ich Ektomorf erwähnen, aber Julie von To-Mera ist auch Ungarin, genauso wie - was jeder weiß - Attila von Mayhem.
HH: Ihr habt 2003 mit einem Theater zusammengearbeitet und eine Metal-Oper aufgeführt (ich las davon lediglich auf eurer Homepage und es klang sehr interessant) - werdet ihr die Oper nochmals aufführen oder plant ihr ähnliche Projekte für die Zukunft?
Zoltan: Das war definitiv für uns alle, Schauspieler genauso wie uns selbst - eine großartige Erfahrung. Wir hatten so etwas in der Art noch nie gemacht, und die Schauspieler hatten noch nie mit Metal-Musikern gearbeitet. Wir spielten die Bettleroper von John Gay. Es war eine einzigartige und ein wenig avantgardistische Aufführung. Wir spielten unsere eigenen Songs, aber es wurden auch ein paar neue für dieses Projekt geschrieben. Diese Stücke konnten nirgends sonst gehört werden, sie unterscheiden sich von unserem Stil. Es mag sich ein wenig nach einem Black Metal Musical anhören. Verrückt, was?
Bedauerlicherweise ist das Projekt vorbei. Der Regisseur arbeitet seitdem woanders und es gibt keine Möglichkeit, es noch mal zu spielen. Wir planen keine neuen Projekte, momentan ist unsere neue Scheibe das Wichtigste für uns.
HH: Wie - um Himmels Willen - seid ihr auf die ausgefallene aber brilliante Idee gekommen, Blechbläser in Black Metal einzubinden?
Zoltan: Die Hauptidee der Bandmitglieder war, der Musik und der Szene etwas Orginelles zu verpassen.
Und warum ausgerechnet die Trompete? Es gab da einen Kerl, Gergely, der in der Nähe der anderen Bandmitglieder lebte, auch Metal-Musik hörte und Trompete spielte. Die Sache war offensichtlich: Sie fragten ihn, ob er mitmachen wolle und er nahm die Einladung an.
HH: Auf eurer Website (Anm: ich finde das Design klasse) habt ihr, ich nenne es mal verschiedene Transformationsphasen der weißen Hexe (die auch auf älteren Covern erscheint) abgebildet - was hat sie für eine Bedeutung, welcher Symbolismus steckt dahinter?
Zoltan: Der Symbolismus (die weiße Hexe und der Vogel) der ersten vier Alben und der EP kommt vom Cover-Künstler Kris Verwimp, mit dem wir zu der Zeit zusammengearbeitet haben. Jedes Album erzählt eine Geschichte. Diese Geschichten werden auf unserer Website von Kris selber erklärt. Es ist sehr interessant, ich kann jedem empfehlen, es zu lesen.
HH: In einem Interview das ich las, sagt ihr, dass der Name der Band, Sear Bliss, aus einem Gedicht von Charles Baudelaire stammt, und ihr sagt dort: "Es drückt mehr eine Gemütsverfassung aus, als dass es eine bestimmte Bedeutung hat." Welche Gemütsverfassung drückt es aus?
Zoltan: Ja, der Name Sear Bliss ist aus einem Gedicht von Baudelaire. Der Grund war, einen klischeehaften Namen zu verhindern. Der Name selbst ist wirklich schwierig zu erklären. Er beinhaltet die anspruchsvollen Werte des Gedichts genauso wie die verschiedenen Besonderheiten unserer Musik. Es ist in gewisser Weise wie gute Lyrik: es kann für unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge bedeuten. Es ist sinnlos unsere Eindrücke mitzuteilen, jeder sollte sich ein eigenes Bild machen.
HH: Zum Schluss die übliche unübliche Frage: Ich gebe dir ein paar mehr oder weniger bekannte Zitate über Musik, und du gibst mir ein Statement, einen Blick in deine Gedanken, dazu.
HH: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." ((Nietzsche)
Zoltan: Nietzsche hat recht, wie in vielen anderen Belangen.
HH: "Musik ist nichts außer der Kombination der gehörten Noten, da Musik nicht nur mittels des Klangs spricht, sondern nichts außer Klang spricht." (Eduard Hanslick)
Zoltan: Ich kann diese Gedanken nicht interpretieren.
HH: "Gleich nach der Stille kommt Musik am Nähesten dran, das Unausdrückbare auszudrücken." (Aldous Huxley)
Zoltan: Ja, Stille kann wie Musik auch sehr ausdrucksstark sein. Diejenigen, die dazu fähig sind, Stille zu verstehen, können Musik wirklich verstehen.
HH: "Ich verstehe nichts von Musik. In meinem Fach ist das nicht nötig." (Elvis Presley)
Zoltan: Das klingt nach der Binsenweisheit: Ich spiele kein Rock'n'Roll, ich lebe ihn.
HH: "Es scheint, als würde es den Leuten Angst machen, wenn sie Musik nicht nach ihren eigenen Vorstellungen einordnen können... Gute Musik ist gute Musik, das sollte jedem genügen." (Bradley Nowell).
Zoltan: Jeder sollte selbst bestimmen, wofür er steht und wofür nicht. Ich stimme diesen Gedanken zu.
HH: "Musiker sind die Architekten des Himmels." (Bobby McFerrin)
Zoltan: Ich glaube nicht an den Himmel. But, don't worry, be crappy.
HH: "Es gibt zwei Fluchtburgen, um dem Elend des Lebens zu entkommen - Musik und Katzen." (Albert Schweitzer)
Zoltan: Ich würde eher Musik denn Katzen wählen. Ich mag sie nicht. Sie sind zwar süß, wenn sie klein sind, aber wenn sie groß werden, stellt sich heraus, dass sie die selbstsüchtigsten Kreaturen auf der Welt sind. Genauso wie Menschen.
HH: "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber es unmöglich ist, zu schweigen." (Victor Hugo)
Zoltan: Ja, ich denke Musik kann das Selbst besser ausdrücken als simple Worte.
HH: "Wenn man den Komponisten zwingt unter der Bedingung zu schreiben, was der Hörer fähig ist zu hören, laufen wir Gefahr, die musikalische Evolution einzufrieren, deren progressive Entwicklung die Überschreitung der durch die Zeit vorgegebene Wahrnehmungen und Gewohnheiten darstellt." (Jean-Jacques Nattiez)
Zoltan: Auch ich denke, dass Komponisten oder Musiker nicht von den Hörern beeinflusst werden sollten, weder musikalisch noch finanziell. Wir spielen die Musik, die wir mögen und es ist klasse, dass sie vielen Leuten gefällt.
HH: Welches Zitat gefällt dir am Besten?
Zoltan: Das Viktor Hugo-Zitat. Es ist einfach, aber manchmal birgt das Einfache große Wahrheiten.
HH: Gibt es noch etwas, dass du unseren Lesern mitteilen willst?
Zoltan: Ich möchte jedem empfehlen, sich unsere neue Scheibe, The Arcane Odyssey, anzuhören. Und ich hoffe, euch bald bei unseren Shows zu sehen.
Danke für das Interview, danke für die Unterstützung!
Tarnele