Review
Iron Maiden - The Final Frontier
Beginnen wir wie immer bei diesem Themenkomplex mit zwei eindeutigen Feststellungen: 1. Iron Maiden sind die beste Band der Welt. 2. Daran wird sich auch nie etwas ändern.
Woran das liegt? Keiner dürfte die überragende Bedeutung der Kombo für den Metal, wie wir ihn heute kennen und lieben, bezweifeln. Das gilt aber auch für AC/DC und Metallica. Der kleine, feine Unterschied liegt darin, dass Maiden nach all den Jahren immer noch nicht im bürgerlichen Milieu angekommen sind. Während AC/DC schon im Morgenprogramm von Bayern 3 laufen und Hetfield und Kollegen zum Standard bei MTV geworden sind, finden Maiden nur innerhalb der Metal-Szene statt. Während es Ozzy, Alice Cooper und sogar Lemmy (!) mit ausführlichem, wohlwollenden Interview in den Feuilleton der Süddeutschen Zeitung geschafft haben, bleibt der intellektuellen Presse bei Maiden nur das unverständige Kopfschütteln. Die haben sich musikalisch doch nicht weiterentwickelt. Der singt immer noch so hoch. Die haben immer noch lange Haare.
Ja, so ist es, Maiden sind immer noch cool, nach all den Jahren, eben weil das Bürgertum mit ihnen nix anfangen kann. Und weil sie ganz nebenbei allen Unkenrufen zum Trotz nicht eine Rentnerkombo auf Pensionstour sind, sondern vor allem live eine Energie entwickeln, die phänomenal ist. Und auch, weil sie immer wieder Studioalben raushauen, die sicherlich nicht mehr an die - ohnehin für immer unerreichbaren - Klassiker der 80er herankommen, aber immer noch meilenweit über der ansonsten herumwabernden Masse stehen. So geschehen auf dem brillanten Comeback (Steve Harris mag das Wort nicht, Bruce Dickinson schon...) Brave New World, auch auf Dance Of Death (wo immerhin drei absolut geniale Songs vertreten sind), und durchaus auch auf A Matter Of Life And Death. Die Gefahr bei der letzten Scheibe lag darin, dass sie zu oft über dem Verspielten, Verfrickelten die Energie vergaßen, was einige Songs teilweise zwar technisch beeindruckend, aber letztlich nicht mitreißend genug machte. Aber auch auf dieser Scheibe lag neben einigem verdudelten Schatten auch jede Menge Licht ("Benjamin Breeg", "These Colours Don't Run", "Out Of The Shadows"...).
Und jetzt? Jetzt kommt mit The Final Frontier das insgesamt fünfzehnte Studioalbum der Herren daher (aufgenommen übrigens im Compass Point Studio in den Bahamas, wo sie schon Piece Of Mind und Somewhere In Time einzimmerten) die ja gerade letztes Jahr auf der Somewhere Back In Time-Tour und dem unfassbaren Flight 666 gezeigt haben, wie mächtig die Klassiker auch heute noch sind. Vorab gab es ja schon zwei Nummern zu bestaunen: "El Dorado" konnte man als Vorabdownload schon vor einigen Wochen bewundern, und der Titeltrack war ebenfalls als Video auf diversen Kanälen, auch auf Du Schlauch, dem deutschen You Tube, zu bestaunen.
Also, natürlich die "Mission Edition", die in einer Blechbox daherkommt, abgegriffen, und kleine Enttäuschung: die gepriesenen Extras gibt es leider nicht als Dreingabe, sondern nur als Bonus-Download auf der Website. So muss man sich die Bonus-Scheibe mühselig selbst zusammendaddeln, aber was soll's, funktioniert hat's. Besonders wertig ist die Verpackung auch nicht, aber sei's drum, jetzt geht's los.
Zunächst gibt's mit "Satellite 15" (so hätte die Scheibe ursprünglich heißen sollen, aber Dickinsons Vorschlag "The Final Frontier" setzte sich dann durch) ein lärmiges Instrumental-Intro - immerhin über vier Minuten, die durchaus verzichtbare Trigger-Drums, harsche, kalte Klänge, Stakkato und Jammergesang bringen. Soll wohl das unheilvolle Space Opera-Feeling des Titelstücks schaffen. Weg damit.
Aber sobald "The Final Frontier" einsetzt, befinden wir uns im Maiden-Himmel. Besser gesagt im Maiden-Weltraum, was das zentrale thematische Motiv der Nummer ist (etwas im Weltraum, aber nicht Somewhere In Time, sondern eher wie ein Marvel-Comic oder Forbidden Planet, so erklärt Meister Dickinson. Jeder Sänger, der diese beiden Vergleiche bemüht, ist über jeden Zweifel erhaben). Das Stück war wie erwähnt aus dem Video hinlänglich bekannt, und die Frage war nur, ob es auch ohne die aufwendige Science Fiction-Untermalung (in einer Mischung aus Predator und Alien sucht ein Indiana Jones-Raumpilot einen Schlüssel, wobei ihm natürlich Eddie in die Quere kommt) funktioniert. Es tut, und meine Herren, wie es tut. Ein grooviger, entspannter Rocker, der aber dermaßen mit genialer Atmosphäre und stimmigen Soli derartig ins Ohr geht, dass das erste Highlight gleich markiert ist - und das ganz ohne die typischen Maiden-Trademarks der Melodieläufe und Hoppelrhythmen.
"El Dorado" kann nach wie vor mit harschem Riffing, eingängiger Bridge und vor allem einem absolut gelungenen Refrain punkten. Ein Stück, das mit der Zeit eher noch gewinnt. Auch hier gilt es zu konstatieren, dass man auch hier vergeblich nach den üblichen Versatzstücken Ausschau hält. Ein Maiden-Album ohne Maiden-Songs? Mal was Neues!
Dagegen wendet sich dann gleich "Mother Of Mercy", das mit harmonischen Melodien, Galopp-Rhythmus und bärenstarken Strophen eher den traditionellen Klängen frönt. Guter Aufbau, aber der Refrain geht leider durchaus in die Hose. Schade um das Stück, das mit besserer Ausarbeitung sicherlich deutlich stärker ausgefallen wäre. Hm.
Für jeden, der die Dickinson-Solo-Scheiben als Schatz hütet (gibt es auch andere Ansätze?), und für alle, die bei "Out Of The Shadows" schon überrascht konstatieren mussten, dass die Halbballade zu den besten Songs gehört, bringt dann "Coming Home" eine weitere Sternstunde. Atmosphärisch stark angelehnt an Tyranny Of Souls und das genannte Stückchen, textlich ganz in der Nähe von "Kill Devil Hill" (Flugzeug in nahezu mythischer Qualität) gibt es erneut eine Lektion in Sachen Atmosphäre, Harmonie und Eingängigkeit.
"The Alchemist" liefert soliden Durchschnitt: klassischer Maiden-Sound, up Tempo, kompetent, aber nichts Weltbewegendes. Das Level, auf dem sich "The Mercenary" auf Brave New World bewegte.
Waren es bis hierhin in erster Linie eingängige, nicht übermäßig lange, weitgehend straighte Rocker, läutet "Isle Of Avalon" den zweiten Teil des Albums ein. Ab jetzt regieren die ausladenden, progressiven, oft verdammt nah an Frickeleien heranreichenden Epen, die ganz eindeutig die Handschrift von Steve Harris tragen. In diese Disziplin fielen in jüngerer Vergangenheit Nummern wie "No More Lies", "Paschendale" und "For The Greater Good Of God". "Isle Of Avalon" bietet einen mythischen Text, epische Arrangements und orientalische Spielereien, die nicht beim ersten Hören zünden. Die Nummer gewinnt mit mehreren Durchläufen, gehört aber nicht zu den besten Stunden von Herrn Harris.
"Starblind" knallt da schon anders. Der balladeske Anfang steigert sich in einen treibenden, wälzenden Mid-Tempo-Rhythmus, der nur auf den ersten Blick harmlos daherkommt, sich aber umrahmt von feinen Melodien zu einem durchaus krachigen Reißer steigert. Dickinson legt sich mächtig ins Zeug und kommt dabei wieder nahe an seine Solo-Scheiben heran. Starker Refrain, stimmige Rhythmuswechsel und vertracktes Drumming. Gut!
Mit "The Talisman" legen die Herren dann noch nach und liefern eine jetzt allerdings durchaus typische Maiden-Nummer ab, die von einer nahezu perfekten Symbiose von Text (stürmische Auswandererüberfahrt) und Musik lebt. Auch hier erleben wir einen eher verhaltenen Anfang, der mit folkloristischen akustischen Gitarren aufwartet. Diese Stimmung zieht sich weiter durch, auch als das Stück längst in einen Brecher mit dem nun endlich auch aufgegriffenen Hoppel-Rhythmus umgeschlagen ist. Unheimliche Atmosphäre, geniale Hookline, massiver Refrain, der sofort hängen bleibt. Klar eines der besten Stücke der Scheibe.
Dagegen markiert "The Man Who Would Be King" leider einen kleineren Ausfall. Die einzige Dave-Murray-Komposition wirkt irgendwie wirr, unausgegoren (was eventuell daran liegen könnte, dass Steve Harris die Ideen seiner Bandkollegen auskunftsgemäß oft umarrangiert und neu zusammenbaut), und der auf einer Kipling-Novelle basierende Text kommt oft hölzern und unpassend daher. Gute Momente, aber insgesamt nicht überzeugend.
"When The Wild Wind Blows" kommt dann die schwere Aufgabe der Abschlussnummer zu, die bei Maiden traditionsgemäß besonderes Gewicht hat. Auch dieses Mal ist der Song der längste des Albums (jenseits der zehn Minuten), behandelt wird die Geschichte eines alten Ehepaars, das sich auf den Atomkrieg vorbereitet (bekannt aus dem gleichnamigen Zeichentrickfilm, wobei die Apokalypse im Gegensatz zur Vorlage in der Harris-Fassung letzlich doch ausbleibt). Hier wird die Harris-Klaviatur dann voll entfaltet: ein harmonisches, verhaltenes Bass-Intro, eine Melodie, die einem auch nach Stunden nicht aus dem Kopf geht, bedächtige Strophen, dann die gleiche Melodie als Harris-Hüpf-Attacke aufbereitet (man sieht ihn förmlich auf der Bühne in seinem Element). Und das ist der starke Punkt: eigentlich ist es eine zurückhaltende, traurige kleine Weise, die hier auf epische Breite gebracht ist, sicherlich garniert mit Variationen, Tempowechseln, aber nie regiert Aggressivität oder Rauheit - die sind in "El Dorado" geboten, hier ist Bedächtigkeit und Zuhören gefragt. Eine Atmosphäre, die einen auch nach langer Zeit nicht verlässt. Eine ideale Verbindung von Thema und Inszenierung. Großes Kino. Nicht für Bayern 3.
Was sagen wir jetzt dazu? Die letzte Grenze, das ist ja die Zukunft, das unbekannte Land, von dem niemand wiederkehrt (meint zumindest Hamlet), und unsere Mission ist es bekanntlich dahin zu gehen, wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist (meint zumindest Captain Kirk). Maiden sind auf dem Weg eben genau dorthin: es ist genügend traditionelles Material enthalten, damit man die Wurzeln immer erkennt, die Qualität ist - mit Ausnahme der genannten Defizite - durchgängig hoch, aber was besonders gefällt, ist, dass auch die straighten Rocker der Anfangstage wieder zu ihrem Recht kommen. So ergibt sich eine Mischung aus progressiven Epen, die einige Zeit brauchen, und in die Fresse-Nummern, die spätestens nach zwei Durchläufen zünden. Ein absolut würdiger Beitrag zum Maiden-Universum, der den eingangs getroffenen Feststellungen in keinster Weise zuwiderläuft.
Und noch mal im Klartext: manches rockt wie Sau, manches ist zum Zuhören, aber (fast) alles ist sakrisch guat.