Review
Dream Theater - Systematic Chaos
VÖ: 01. Juni 2007
Zeit: 78:46
Label: Roadrunner Records
Homepage: www.dreamtheater.net
Das Traumtheater öffnet also mal wieder seine Türen. Dieses Mal im systematischen Chaos, also eigentlich so wie immer aber doch wieder ganz anders. Dream Theater haben sich noch nie in ihrer schon langen Karriere bei zwei nacheinander erscheinenden Longplayern selbst kopiert. Immer wieder ließen sie neue Einflüsse zu, fielen vom Konzeptalbum (Scenes From A Memory) etwas in Richtung Klassik (Six Degrees Of Inner Turbulence), gingen von der harten Ecke (Train Of Thought) in die ruhigere, melodischere (Octavarium) und waren doch immer noch sie selbst. Nein, den Fans machte es die Band um Drummer Mike Portnoy nie leicht, aber der Erfolg der letzten Jahre gab ihnen Recht und Dream Theater sind wohl eine der Referenzbands wenn es um hochklassigen progressiven Rock/Metal geht. Und das ändert sich auch bei ihrem aktuellen Album nicht.
"In The Prescence Of Enemies Pt. 1" beginnt mit einem längeren instrumentalen Einstieg, der sich durch eine gewisse Grundhärte auszeichnet und ein formidables Gitarren-/Keyboardduell zwischen John Petrucci und Jordan Rudess beinhaltet. Hier werden die großen Momente von Scenes From A Memory wach. Nach über fünf Minuten wird der Platz frei gemacht für James LaBrie, der angenehm warm singt und in den mittleren Tonlagen bleibt. Nach exakt neun Minuten Melodien- und Harmonienlehre steht gleich das kürzeste Stück des Albums in Form von "Forsaken" an. Dream Theater kommen schnell auf den Punkt, sparen nicht an Eingängigkeit und erst recht nicht an Emotionalität. Trotz der grad mal fünfeinhalb Minuten kommt der Anspruch nicht zu kurz. Dann schlägt "Constant Motion" mit der Wucht eines 80-Tonners durch die Boxen direkt in das Trommelfell hinein. Und wenn ich nicht wüsste, dass es anders wäre, dann könnte man meinen James Hetfield hat die Strophen eingesungen. Dennoch kommen aber die Melodien und die Virtuosität trotz der Härte abermals nie zu kurz. Dass es aber noch mal eine Spur harscher und ruppiger geht zeigt "The Dark Eternal Night", das etwas von Pantera hat und in den Strophen mit stark verzerrtem Sprechgesang auskommt. Darüber hinaus ist das Stück extrem vertrackt und abgefahren. Sehr starker und schwer im Magen liegender Tobak, den uns das Traumtheater hier abliefert. Dennoch achte man im Mittelteil auf das geniale Intermezzo von Keyboarder Jordan Rudess. So, jetzt erst mal Luft holen und verschnaufen. Am besten mit dem knapp elf Minuten langen "Repentance", das mit seiner melancholischen Grundstimmung an Pink Floyd erinnert, aber auch Momente von Bands wie Tool, Psychotic Waltz und Dead Soul Tribe beinhaltet ohne jedoch als Plagiat abgestempelt werden zu können. Ganz großes Kopfkino! Die textliche Anklage gegen den Krieg im Irak hört auf den Namen "Prophets Of War" und kann mit seinem abwechslungsreichen Aufbau überzeugen, das ist mal ein Spannungsbogen und erst Recht eine Melodieführung. Leichte Parallelen zu Muse aber auch zu den kanadischen Kollegen von Rush kann man hier raushören. Das ruhige und traurig beginnende "The Ministry Of Lost Souls" zeigt in guten 15 Minuten wieder die komplette Bandbreite der fünf New Yorker und ist nicht minder abwechslungsreich wie die Kriegspropheten. Den Abschlusspunkt des fast 80 Minuten langen Albums setzt "In The Prescence Of Enemies Pt. 2" bei dem abermals Querverweise zum Scenes-Album auftauchen. Über einen atmosphärischen Einstieg mit nahezu gehauchten Lyrics von James LaBrie steigert sich die Nummer zu einem Breitbandwerk mit starker Instrumentierung und hoher Dynamik. Dass hier wieder alle Beteiligten vom Leder ziehen können dürfte wohl klar sein. Furioses Finalstück mit völlig abgefahrenem und genialem Mittelteil.
Auch im Jahre 2007 werden Dream Theater einen Teil ihrer Fans nicht zufrieden stellen können, allein schon wegen solcher Stücke wie "Constant Motion" und "The Dark Eternal Night". Der andere Teil wird sie aber gerade deswegen lieben. Eines ist jedenfalls sicher: was Mike Portnoy, John Myung, Jordan Rudess und John Petrucci an ihren Instrumenten hier abliefern ist absolute Weltklasse, sowohl individuell als auch bei den Arrangements. Darüber hinaus bietet James LaBrie seine wohl facettenreichste Vorstellung und hat gegenüber Octavarium noch mal einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Auch beim Sound wurde die perfekte Mischung aus Druck und Wärme gefunden. Welchen Platz Systematic Chaos in der langjährigen Karriere des Traumtheaters einnehmen wird, lässt sich (noch) nicht sagen, doch es ist sicher dass das Album in seiner Gesamtheit die komplette Bandbreite abdeckt und durch hohe Ausgewogenheit und Dynamik besticht. Für mich persönlich besteht jedenfalls kein Zweifel daran dass Systematic Chaos das beste Werk seit dem Jahrhundertalbum Scenes From A Memory geworden ist.
Andi