Review
Bruce Dickinson - Tyranny Of Souls
Dieses Mal wird nicht gscheid dahergred. Hier gilt einfach: meine Herren ist das genial. So tief wie es sich gehört kann man den Chapeau gar nicht von sich schleudern. Dass Bruce Dickinson einer der allerbesten ist, daran kann und darf es aber auch so überhaupt gar keinen Zweifel geben. Immerhin war er es, der die Maiden-Flagge stolz in den Wind lüpfte, als Stevo und Kollegen sich Mitte der 90er auf den steinigen Marsch durch die kreative Wüste machten. Als Maiden ihre beiden zweifelsohne schlechtesten Platten herausbrachten, da lieferte er, von dem man es gar nicht mehr gedacht hätte, die eigentliche, die heimliche maidenmäßige Scheibe des ausgehenden Jahrtausends: The Chemical Wedding löste prompt genau das Versprechen ein, das nach Fear Of The Dark offen geblieben war. Nach seinem Wiedereinstieg bei Maiden pünktlich zur Metal 2000 Tour, die den Kahn wieder flottmachte und Maiden endlich zurück an die Spitze führte, dauerte es nun (leider) sehr lange, bis er wieder unter eigenem Namen fliegt und uns neues Material mitbringt. Auf der "Best Of"-Zusammenstellung fanden sich ja schon zwei neue Songs, der Metallica-lastige Stampfer "Broken" und der rasende Luftkrieg-Reißer "Silver Wings", aber ansonsten war nichts neues zu vermelden. Jetzt, satte sieben Jahre nach dem Chemical Wedding-Geniestreich, legt er nun Tyranny Of Souls vor. Fabriziert wieder gemeinsam mit seinem eigentlichen Solo-Entdecker Roy Z, der ihn von der experimentellen, absichtlich von der Maiden-Schule weggehenden Richtung der ersten Alben und dem wirren Experiment mit Skunkworks wieder hin zum melodischen Metal brachte, mit Accident Of Birth, auf der Dickinson 1997 schon seine Rückkehr zum Schwermetall ankündigte. Jetzt, 2005, mit einem Maiden-Comeback und einer weiteren Scheibe auf dem Buckel, knüpft Dickinson an sein Meisterwerk an. Und zwar nahtlos. Tyranny Of Souls bringt ohne Ausnahme herausragendes Material, mit einem Sound, der eine Betonwand plattmacht, durchtränkt mit brachialen Riffs, gespickt mit genialen Refrains, gnadenlos getrieben von der Gitarrenarbeit von Roy Z, und über allem thronend der in alter Frische schmetternde Heldentenor. Man weiß nicht, wo man zuerst hingreifen soll - der furios losholzende Opener "Abduction", das getragende "Kill Devil Hill", der Titeltrack: Andacht, meine Lieben, hier ist ein Meister am Werk. Das ist Metal im neuen Jahrtausend, der gleichermaßen modern ist und traditionell im besten Sinn. Der alle Tugenden bringt, auf die man hoffen durfte - Melodie und Komposition. Und der gleichzeitig in keiner Sekunde Altes wiederholt, sondern immer frisch, präsent, bretthart klingt. Mein Hut fliegt immer noch am Boden herum.
Auch inhaltlich lässt er sich wieder nicht lumpen. Auf The Chemical Wedding stand das mystische Werk von William Blake (englische Romantik - "Tyger Tyger burning bright" - damit ihr nicht nachschlagen müsst) im Vordergrund, die Vision vom endzeitlichen Albion. Hier nun hätte Fox Mulder seine Freude: Scully, ich habe eine Akte über einen englischen Sonderling, der meint, er sei von Aliens entführt worden. "Mars Within", "Abduction", "Soul Intruders", "Power Of The Sun" - unheimliche Stories über außer/überirdische Erfahrungen. Als passionierter Flieger outet sich der Meister natürlich auch wieder: in "Kill Devil Hill" erzählt er uns die Geschichte der Flugpioniere Wright, verpackt in einem mythischen, überhöhten Gewand. Ganz nebenbei zaubert er mit diesem Song eines der Metal-Highlights des Jahres.
In die Literaturgeschichte greift er immer wieder gerne, so auch hier: das Intro zu "Tyranny Of Souls", der eröffnende Dialog der drei Hexen aus Shakespeares Macbeth, war ursprünglich für ein Projekt mit Geoff Tate und Rob Halford gedacht. Das wurde nix, also packte unser Mann den Song kurzerhand aufs neue Album. Gut für uns, denn selten gab es eine so kongeniale Umsetzung der Stimmung in Shakespeares blutberauschter Schauermär. Beruhigend ist sie nicht, diese Welt der Entfremdung, der Bedrohung - aber es sind nicht zuletzt diese Geschichten, die Dickinson (und Maiden) so meilenweit über zahllose Kollegen heben. Dazu passt auch das Cover, eine Reproduktion eines Gemäldes von Hans Memling von 1485, dem Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, als sich die Sicherheit des göttlichen Weltbilds aufzulösen begann. Der denkt sich was dabei, so viel steht fest, meine Freunde.
Typisch Dickinson, und typisch für einen, der sich seiner Sache verdammt sicher ist: der mit großem, uneinholbaren Abstand beste Song der Scheibe kommt überhaupt nicht metallisch, sondern akustisch, mit psychedelischen Einsprengseln daher - "Navigate The Seas Of The Sun" schwingt locker, hypnotisch, unvergesslich nach dem ersten Durchlauf. Der Mund bleibt offen, eine ganze Weile.
Ja, was soll man sagen. Bruce Dickinson ist wie ein guter alter Freund. Man kann sich immer auf ihn verlassen, er überrascht einen manchmal, hat einen ab und an schon ein wenig enttäuscht, aber dafür macht er es immer hundertfach wieder gut. So gut wie bei Tyranny Of Souls. Jetzt, bitte, schnapp dir wieder Adrian Smith und komm auf Tour, dann ist die Seligkeit perfekt.